Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
verschlossen und gesichert waren.
Matteo erinnerte sich an ein anderes Jordaini-Sprichwort: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Derart aufwendige Maßnahmen, mit denen die Werkstatt der Königin vom übrigen Palast isoliert wurden, hätte man nicht ergriffen, wenn sich ihre Notwendigkeit nicht längst erwiesen hätte. König Zalathorm hatte jedoch die Gerüchte über Matteos Vorgänger dementiert, und Matteo konnte sich nicht vorstellen, daß der König ihn anlog.
Er mischte sich unter die Handwerker und nickte dem Wachmann im Vorübergehen zu. Der erkannte Matteo und tippte sich zum Gruß mit den Fingerspitzen an die Stirn. Dann verrollte er die Augen, um seine Meinung über den herrschenden Trubel kundzutun. Matteo nickte mitfühlend.
In der Werkstatt der Königin herrschte Chaos. Eine Schmiede mitsamt einem riesigen Ofen war errichtet worden. Helle Hammerschläge erfüllten den Raum, als Metallstücke zu dünnen, flachen Platten geschlagen wurden. Metallarbeiter standen über einen langen Tisch gebeugt und formten mit winzigen Werkzeugen und äußerster Präzision erhitzte Metallteile. Stämmige Halblinge mit behaarten Füßen aus dem nahen Luiren saßen auf Hockern und fügten mit großem Geschick winzige Mechanismen zusammen. In einem Teil des Raums stritten sich drei Kunsthandwerker über einen mechanischen Behir, ein sechs Meter langes Krokodil mit doppelt so vielen Beinen wie üblich. Als die Debatte immer hitziger wurde, trat einer der Männer frustriert gegen die Metallbestie – offenbar mit zuviel Nachdruck, da er durch den Streit aufgebracht und abgelenkt war. Dem Tritt folgte ein schmerzhaftes Aufheulen, und zur Schadenfreude seiner Kollegen hüpfte der Mann in einem kleinen Kreis auf einem Fuß herum, während er sich den anderen hielt.
Matteo sah sich mit zunehmender Verwunderung um. Mindestens zweihundert Arbeiter hielten sich im großen Saal auf, und in den angrenzenden Räumen erblickte er noch viele Handwerker mehr. Die Ergebnisse ihrer Arbeit – mechanische Kreaturen jeglicher Form und Größe – umgaben die Räumlichkeiten wie Wachen. Sie waren gegen die Wand gelehnt, aufeinander getürmt, in Regalen verstaut, und andere wiederum hatte man an den Deckenbalken aufgehängt. Die mechanischen Wunderwerke reichten von lebensgroßen Elefanten über metallene Falken bis hin zu monströsen Bestien, darunter eine Fülle verspielter Konstruktionen, die in der Natur kein Gegenstück besaßen. Metallene Schöpfungen, die Matteo noch nie gesehen hatte und die er sich nicht einmal hätte ausmalen können, standen bereit, um einen unerfindlichen Befehl auszuführen.
Matteo machte sich auf die Suche nach Beatrix. Er entdeckte sie in einem fensterlosen Raum, der von einem niedrig aufgehängten Kerzenleuchter erhellt wurde. Die Königin stand allein und betrachtete eine abscheuliche Metallkreatur mit dünnen, fledermausartigen Flügeln und einer spitzen Schnauze mit stählernen Reißzähnen. Das Geschöpf wirkte entfernt wie ein Reptil, wäre da nicht die auf ganzer Länge verlaufende volle Mähne aus Metallfäden gewesen, die fein waren wie gesponnene Seide.
»Es ist wundersam, Königin«, sagte Matteo leise, um sie nicht zu erschrecken.
Sie drehte sich nicht um. »Es ist eine Düsterbestie«, sagte sie mit flacher, tonloser Stimme. »Die Magier aus Thay formen sie aus toten Fleischstücken.«
Matteo war nicht sicher, wie er auf diese merkwürdige Aussage reagieren sollte. »Ihr verwendet Stahl. Das ist ein besserer Werkstoff, Euer Majestät.«
Beatrix nickte gleichgültig. Ihre kunstvolle weißsilberne Perücke funkelte im Schein der Kerzen. »Fleisch oder Stahl. Es ist egal. Beide werden im Überfluß auf dem Schlachtfeld zu finden sein.«
Sie sprach mit einer Überzeugung, die Matteo erschaudern ließ. »Auf dem Schlachtfeld?«
Als Beatrix nicht antwortete, packte er sie sanft an den Unterarmen und drehte sie so, daß sie ihn ansah. Er nahm ihren leeren Blick wahr und starrte eindringlich in ihre Augen, um die sich eine deutliche Kajal-Linie zog.
»Ich höre in Eurer Stimme die Zukunft. Seher, die aus dem Vogelflug lesen, sprechen nicht mit solcher Gewißheit. Welches Schlachtfeld?«
Ein Hauch von Leben war in Königin Beatrix’ Augen zu erkennen. »Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Krieg kommt. Krieg geht, wohin er will.«
Matteo tat ihre Behauptung nicht leichthin ab. Beatrix zeigte wenig Interesse an ihrer Umwelt, doch vielleicht nahm sie Dinge wahr, die sonst niemand bemerkte.
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