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Rattenkoenig

Rattenkoenig

Titel: Rattenkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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»was soll die Geschichte mit Betty?«
    »Ach, das ist nur ein Teil der ganzen Scheiße«, antwortete Rodrick düster. »Das ist der Name von Seans Rolle für diese Woche. Wir – Frank und ich – haben Sean immer mit dem Namen der Rolle angeredet, die er gerade spielte.«
    »Warum?« fragte der King.
    »Um ihm zu helfen, in die Rolle hineinzuwachsen.«
    Rodrick sah wieder auf die Bühne hinaus und wartete auf sein Stichwort. »Es hat als Spiel angefangen«, sagte er bitter, »und jetzt ist es ein abscheulicher Scherz. Wir schufen diese – diese Frau. Gott helfe uns. Wir sind verantwortlich dafür.«
    »Warum?« fragte Peter Marlowe langsam.
    »Nun, Sie erinnern sich doch, wie schwer es auf Java war.« Rodrick sah den King an. »Weil ich vor dem Krieg Schauspieler war, wurde mir die Aufgabe übertragen, das Lagertheater aufzubauen.« Er ließ den Blick zur Bühne schweifen, zu Frank und Sean. Etwas Seltsames um diese beiden heute abend, dachte er. Kritisch beobachtete er ihren Auftritt und erkannte, daß beide inspiriert waren. »Frank war außer mir der einzige Berufsschauspieler im Lager, und wir begannen zu arbeiten und Aufführungen vorzubereiten. Als es soweit war, mußte natürlich jemand die weiblichen Rollen spielen. Es meldete sich niemand freiwillig, und deshalb wurden von oben zwei oder drei bestimmt. Einer davon war Sean. Er wehrte sich erbittert dagegen, aber Sie wissen ja selbst, wie hartnäckig höhere Offiziere sind. ›Jemand muß schließlich ein Mädchen spielen, zum Donnerwetter‹, so redeten sie auf ihn ein. ›Sie sind jung genug, um wie ein Mädchen zu wirken. Sie rasieren sich höchstens einmal die Woche, und es geht ja nur darum, für eine Stunde Frauenkleider anzuziehen. Denken Sie daran, wie wichtig das für die Stimmung sein wird.‹ Und wenn Sean auch tobte und fluchte und bettelte, es half ihm nichts.
    Sean bat mich, ihn nicht anzunehmen. Nun, es kommt nichts dabei heraus, wenn man mit jemandem arbeitet, der nicht will, und deshalb versuchte ich zu erreichen, daß man ihn wieder aus der Schauspielgruppe entließ. ›Bedenken Sie‹, sagte ich bei der Lagerleitung, ›Schauspielen, das ist eine große seelische Belastung …‹
    ›Papperlapapp‹, fertigte man mich ab. ›Welcher Schaden kann daraus entstehen?‹
    ›Die Tatsache, daß er eine Frau spielt, könnte ihn innerlich verbiegen. Wenn er auch nur im geringsten veranlagt ist …‹
    ›Lauter dummes Zeug‹, wehrte man ab. ›Ihr verdammten Theaterfritzen seid sowieso im Kopf verdreht. Aber Unteroffizier Jennison? Unmöglich. Nicht dran zu tippen. Verdammt guter Jägerpilot! Hören Sie, Major, die Sache ist erledigt. Sie erhalten hiermit den Befehl, ihn in Ihre Gruppe aufzunehmen, und er erhält den Befehl, zu spielen!‹
    Frank und ich versuchten also, Sean zu besänftigen, aber er schwor, er würde die schlechteste Schauspielerin auf der ganzen Welt sein und bestimmt dafür sorgen, daß er nach dem ersten entsetzlichen Auftritt rausgeworfen würde. Wir erklärten ihm, daß uns das vollkommen egal wäre. Sein erster Auftritt war schrecklich. Aber danach schien er es nicht mehr so sehr zu hassen. Zu seiner eigenen Überraschung begann er sogar Gefallen daran zu finden. So fingen wir also richtig zu arbeiten an. Es war gut, daß man etwas zu tun hatte – das lenkte die Gedanken ab von der beschissenen Verpflegung und dem beschissenen Lager. Wir brachten ihm bei, wie eine Frau redet und geht und sitzt, wie sie raucht und trinkt und sich kleidet und sogar, wie sie denkt. Um ihn bei Laune zu halten, begannen wir dann die Spiegelfechterei. Wenn wir im Theater waren, standen wir bei seinem Eintritt immer auf, rückten ihm einen Stuhl zurecht, nun ja, Sie wissen ja, wir behandelten ihn eben wie eine richtige Frau. Zuerst war der Versuch aufregend, die Illusion aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, daß Sean nie beim An- oder Auskleiden gesehen wurde, dafür zu sorgen, daß seine Kostüme ihn zwar immer verhüllten, aber doch genug ahnen ließen. Wir bekamen sogar eine Sondergenehmigung, daß er einen Raum für sich allein haben durfte. Mit eigener Dusche.
    Dann brauchte er plötzlich keine Unterstützung mehr. Er war auf der Bühne eine so vollkommene Frau, wie man es überhaupt nur sein kann.
    Aber ganz allmählich begann die Frau ihn auch außerhalb des Theaters zu beherrschen, nur merkten wir es nicht. Inzwischen hatte sich Sean das Haar ziemlich lang wachsen lassen – die Perücken, über die wir verfügten, taugten

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