Raum in der Herberge
Diesen Auftritt verpasste ich
zwar, weil ich zu der Zeit gerade wieder einmal auf dem Rückweg von Nájera war,
aber Roland hielt mich per Mobiltelefon auf dem Laufenden.
„Jetzt
haben wir sie — die große Szene auf dem Barbier-von-Sevilla-Platz, die ich dir
immer angekündigt habe“, teilte er mir begeistert mit. „Das ist wie in einer
Oper — nein einer Operette oder — noch besser — wie in einer Burleske.“
Mir
tat Vega fast ein bisschen Leid und da ich persönlich mit ihr weder positiv
noch negativ in Berührung gekommen war, beschloss ich, mich aus alledem
herauszuhalten. Deshalb verwies ich, wenn Pilger mich nach einem guten
Restaurant fragten, trotz meiner Freundschaft zu Begoña auf beide Lokale:
„Vergleicht einfach die Speisekarten, welche euch besser gefällt.“
Obwohl
die Gastfreundschaft der Herberge tunlichst dort aufhören sollte, wo sie das
Geschäft anderer berührte, kochte Roland dennoch ab und zu für Pilger, die ihm
besonders sympathisch waren, Paella , jene köstliche spanische
Reispfanne, die er damals für mich und meine Wandergefährten zubereitet hatte.
Auch
sonst gab es gastliche, meist recht weinselige Runden innerhalb und außerhalb
des Hauses. Wenn wir in der Bar Sevilla einen Aperitif zu uns nahmen und Gäste
aus der Herberge hinzukamen, luden wir sie gern auf ein Glas ein. Oder Enrique
brachte Radieschen von seinen Feldern mit, die wir in kleiner Gruppe am Brunnen
sitzend verzehrten und mit dem guten Rioja aus Begoñas Bar nachspülten.
Oft
hockten wir abends mit Pilgern, wenn sie vom Essen zurückkamen, bis spät in die
Nacht hinein in der Küche und führten mehr oder weniger tiefschürfende
Gespräche bei Wein, Oliven, Käse oder was wir sonst gerade da hatten. Dabei
fiel mir auf, dass die meisten diese Bewirtung als selbstverständlich
hinnahmen, überhaupt nicht auf die Idee kamen, etwas dazu beizutragen. Einmal
tat sich eine ältere Deutsche an unserem Keksvorrat gütlich, bis die Dose leer
war.
„Hat
sie eigentlich, bevor sie weg ist, was neben ihren Frühstücksteller gelegt?“,
fragte ich Roland am anderen Morgen. Statt einer Antwort blies er nur die
Backen auf. „Manchmal könnte man richtig die Lust verlieren, großzügig zu sein.
Ich will nicht jeden Wein und jede Olive aufrechnen, aber irgendwie muss das
Ganze doch in einem gewissen Rahmen bleiben.“ Zum Glück gab es Pilger, die sehr
wohl die spezielle Gastfreundschaft in Rolands Herberge zu würdigen wussten und
sie entsprechend vergalten. Ein Wiener alter Schule zum Beispiel verabschiedete
sich von mir mit angedeutetem Handkuss, von Roland mit tiefer Verbeugung, und
überreichte uns eine Flasche Wein: „ Trinkt’s die auf
mein Wohl. Ich dank euch schön für alles.“
Auch
Tom Cruise gehörte zu denen, die wussten was sich gehörte — nicht der Echte
natürlich, sondern ein kleiner drahtiger Australier, der wie eine blonde
Jugendausgabe des berühmten US-Filmstars aussah. Seinen Spitznamen fand er
großartig und gab sich entsprechend und verbreitete außerdem gute Laune in der
gesamten Herberge. In der Bar Sevilla gesellte er sich später mit einigen
anderen jungen Leuten zu Roland, Enrique und mir, wobei er sorgfähig darauf achtete, dass er und wir die Runden abwechselnd bezahlten.
Nach
einer Weile verlagerten wir das Geschehen auf die Bank vor der Bar und es wurde
einer dieser wunderbaren Camino-Abende, an dem alles stimmte: goldener Sonnenuntergang,
ausnahmslos nette Pilger, lustige Anekdoten und gute Gespräche. Bevor es
allerdings zu feucht-fröhlich wurde, zog Tom Cruise — praktisch wie die
trinkfesten, Outback-erprobten Australier nun mal sind — die Notbremse: „Wir
brauchen jetzt unbedingt eine feste Unterlage. Wie wär’s mit Käse? Roland, wo
kann man den hier im Dorf kaufen?“
„Die
Straße hinauf, in Höhe der Kirche ist rechts ein Laden. Verlang den Käse, den
ich immer nehme.“
Wenig
später kam er mit einer großen Tüte zurück, verschwand in der Herberge, wo er
in der Küche eine passende Platte suchte, um darauf den Käse in mundgerechten
Stückchen zu servieren. Es war genau die richtige Sorte.
„Was
hast du gesagt, was du wolltest?“
„ Queso Rolando hab ich gesagt, da wussten sie schon Bescheid.“
„Genial.
Dich kann man schicken.“ Roland war begeistert und als Tom Cruise am anderen
Morgen weiterzog, meinte er: „Schade, den hätte ich
gern länger hier behalten.“ Dieser Satz stellte für Roland die höchste zu
vergebende Sympathienote dar,
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