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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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je
nachdem, wer gerade Lust dazu hatte. Spätestens um drei — egal, ob die Herberge
voll oder noch Plätze frei waren — wurde das Büro abgeschlossen und ein Zettel
aufgehängt: „Sind essen, kommen gegen fünf zurück“
    „Ich könnte doch die Stellung
halten“, bot ich voller Anfangseifer an.
    „Kommt nicht in Frage“, erklärte Wolf. „Wir sind die Hospitaleros und nicht die
Sklaven dieser Herberge und wir haben Stress genug. Da sind die Mittagspause
und die anschließende Siesta einfach ein Muss.“
    Zunächst genierte ich mich ein
wenig, wie selbstverständlich mit zu Lauras Familie zu kommen, wo ihre Mutter
Ana für alle gekocht hatte, aber als sie das merkten, nahmen sie mir rasch
meine Befangenheit: „Du gehörst doch jetzt dazu.“
    Ab dem Spätnachmittag kümmerten
wir uns wieder in der Herberge um die Belange der Pilger, bis wir gegen zehn,
elf Uhr zu Lauras Familie zurückkehrten, wo nach spanischer Sitte zu dieser
späten Stunde das Abendessen eingenommen wurde. Ein Zeitplan, an den sich mein
deutscher Magen trotz guten Willens nicht gewöhnen konnte, deshalb klinkte ich
mich gelegentlich daraus aus. Ana, die Gute, ließ mir dann ein Töpfchen mit
selbstgekochten Köstlichkeiten zukommen, damit ich nur ja nicht verhungerte.
    Vor oder nach dem Abendessen
oder sowohl als auch tranken wir irgendwo eine Copa ,
was bedeutete, dass wir abends recht spät ins Bett kamen. Ich bewunderte Wolf,
dem das nichts auszumachen schien und der jeden Morgen frisch und munter um sechs Uhr aufstand. Doch Wolf hatte ein spezielles Verhältnis zum
Camino und zu Mansilla, wo er sich mehr Zuhause fühlte als in Deutschland, und
wo er regelrecht aufblühte. Ich hatte das selbst beobachtet — in Mansilla
wirkte Wolf, obwohl nach wie vor Ende sechzig, dennoch irgendwie jünger und
elastischer, wenn er in seinen Safarihosen mit den vielen Taschen und einem
T-Shirt, auf dem ein Lobo , ein Wolf, prangte,
in der Herberge die Runde machte. Mitte der neunziger Jahre war er zum ersten
Mal den Camino gegangen, danach jedes Jahr wieder, wobei er stets ein paar Tage
in Mansilla blieb, um in der Herberge zu helfen. Seit seiner Pensionierung kam
er alljährlich für mehrere Monate nach Mansilla.
    „Der Camino hat mich gefangen
und lässt mich nicht mehr los“, pflegte er zu sagen und zu seiner Arbeit als
Hospitalero hatte er in einem Interview der örtlichen Presse erklärt: „Ich bin
glücklich, wenn ich anderen helfen kann, dann fühle ich mich nützlich. Ich
glaube, es ist besser, hier zu arbeiten, als Zuhause in Deutschland mit
Gartenarbeit die Zeit tot zu schlagen. Außerdem gefällt mir Mansilla und die
Menschen dort sind liebenswert.“
    Das war stark untertrieben,
tatsächlich hatte Wolf einen Narren an Mansilla gefressen und in Lauras Familie
war er längst integriert wie ein enger Verwandter. Wolfito , Wölfchen, nannte Ana ihn liebevoll, als sei er ein weiterer Sohn, obwohl
altersmäßig eher sie seine Tochter hätte sein können.
    In der Herberge ergänzten sich
Wolf und Laura hervorragend, gerade weil sie in vieler Hinsicht, äußerlich wie
vom Temperament her, sehr gegensätzlich waren.
    Wolf, groß, drahtig, mit einem
weißen Haarkranz um den sonnengebräunten kahlen Kopf, verbreitete allein auf
Grund seines Alters einen gewissen Respekt. Er strahlte Ruhe aus, nahm alles
sehr genau und verkörperte eine gute Mischung aus väterlicher Strenge und
Fürsorge.
    Laura, klein, knuffig, mit
langen honigblonden Locken und gut Mitte zwanzig, sorgte gern mit lustigen,
zuweilen auch etwas zotigen Sprüchen für lockere Stimmung. Auf bemerkenswerte
Weise vereinte sie Quirligkeit und spanische Mañana -Gelassenheit in sich. Ihre energische und zugleich
einfühlsame Art, die Herberge zu führen, hatte ihr in einem deutschen
Camino-Wanderführer das Lob eingebracht, „ein Juwel“ zu sein.
    „Was glaubt ihr wohl, wie viel
ich bezahlt habe, damit der das schreibt?“, witzelte sie darüber.
    In gewisser Weise kam mir Mansillas kommunale Herberge fast wie ein
Familienunternehmen vor. Bereits Lauras Mutter hatte als Hospitalera
gearbeitet, Vater Paco kam öfter vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, und im
Sommer half wie gesagt Rebeca, die Freundin von Lauras Bruder José Ramon, mit.
    Rebeca, noch keine zwanzig,
eine brünette Schönheit mit dunklen Rehaugen , klug
und heiter, war eine genaue Beobachterin und ordentlich, ohne pingelig zu sein.
Umsichtig brachte sie die Unterlagen für die Pilger-Statistiken der Gemeinde in
einen

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