Raum in der Herberge
ist vielmehr, dass hier ein
ganz besonderes Gemeinschaftserlebnis vermittelt wird. Roland war vermutlich
bloß eifersüchtig, weil viele Pilger von Grañón schwärmten.
Nach dem Essen räumten wir alle
miteinander auf; es war schon merkwürdig — hier wurde nichts ge - oder verboten, trotzdem funktionierte alles
reibungslos.
In dieser Nacht schlief ich
tief und traumlos auf meiner dünnen Matratze in einem mit Pilgern bis auf den
letzten Quadratzentimeter belegten Raum, wobei ich gar nicht mehr weiß, ob
irgendjemand schnarchte. Ich erinnere mich nur noch, wie unheimlich geborgen
ich mich fühlte.
Am anderen Morgen wanderte ich
bis zum nächsten Ort, von dort ging es per Anhalter und in verschiedenen
Autobussen nach Mansilla. Nachmittags gegen vier Uhr kam ich dort an und die
Herberge war bereits komplett belegt. „Schön, dass du da bist“, sagte Wolf und
nahm mich in die Arme.
„Du wirst sehen, wir können
dich hier gut brauchen“, meinte Laura mit den üblichen besitos , Küsschen rechts und links. Sie grinste, als ich ihr einen Abriss von den
Ereignissen in Azofra gab. „Das hätte ich dir vorher sagen können. Es hat mich
sowieso gewundert, dass beim letzten Mal alles glatt gelaufen ist. Von diesem
Roland habe ich schon einige merkwürdige Sachen gehört, und mich gefragt, ob
der Typ wohl ganz koscher ist.“
Schwamm drüber, jetzt war ich
in Mansilla und alles würde gut.
Anders als die Orte, in denen
ich bisher als Hospitalera gearbeitet hatte, ist Mansilla ein richtiges
Städtchen — mit knapp 2.500 Einwohnern zwar klein, doch mit allerhand
Geschäften, Kneipen, Restaurants, mehreren Hotels und Gasthöfen sowie einem
Campingplatz etwas außerhalb. Dieser historische Ort hat sowohl eine lange
Tradition in der Beherbergung von Jakobspilgern, wie auch als Marktplatz. Einst
war er ein bedeutender Umschlagplatz für Getreide und Vieh, von letzterem zeugt
die Langform des Stadtnamens Mansilla de las Mulas, Mansilla der
Maulesel. Inzwischen gibt es diese großen Märkte jedoch nicht mehr, es findet
nur noch ein kleiner Wochenmarkt statt; die Stadt stagniert, viele der alten
Häuser stehen zum Verkauf. Umgeben von einer gut erhaltenen mittelalterlichen
Stadtmauer und malerisch am Fluss Esla gelegen ist
Mansilla ein bei Pilgern sehr beliebtes Etappenziel, ein hübsches Städtchen
nach mehreren Tagen Camino durch relativ monotone Landschaft. Am nächsten Tag
sind es dann nur noch neunzehn Kilometer bis León, der früheren Hauptstadt des
Königreiches Asturien -León, wo es viel zu besichtigen
gibt.
Auch Mansillas Herberge war äußerst beliebt, weil sie gemütlich war und in vieler Hinsicht den
Ansprüchen von Pilgern ideal entsprach. Sie bestand aus zwei Häusern zwischen
denen ein geräumiger Patio, ein hübscher Innenhof mit einem alten Feigenbaum
lag. Das vordere Haus war das Haupthaus mit dem Empfangsbüro und vier
Schlafräumen mit jeweils sechs bis acht Betten. Das Hinterhaus hatte einen Schlafsaal
für zwanzig Pilger. Es gab zwei gut ausgestattete Küchen, ausreichend Toiletten
und Duschen, unter einem Vordach im Patio standen Waschmaschine und Trockner.
Regulär bot die Herberge Platz für 46 Pilger, notfalls konnten im Flur des
Hinterhauses noch vier Personen auf Matratzen untergebracht werden, mehr
allerdings nicht, das hätte die sanitären Anlagen überfordert.
Ich merkte schnell, dass Laura
und Wolf nicht übertrieben hatten, es gab tatsächlich genug zu tun in dieser
Herberge, sie konnten meine Hilfe gut brauchen und es machte Spaß, im Team zu
arbeiten.
Die Aufgaben hatten wir, ohne
ein Wort darüber zu wechseln, sinnvoll untereinander aufgeteilt. Wolf hatte
sein Hospitalero-Zimmer im Vorderhaus, mir wurde meines im Hinterhaus
eingerichtet, und wir fühlten uns jeweils für „unsere“ Häuser verantwortlich.
Wolf stand immer schon gegen
sechs in der Früh auf, weil er gern die Pilger verabschiedete und ihnen noch
den ein oder anderen guten Rat mit auf den Weg gab. Ich hingegen gönnte es mir,
bis halb acht zu schlafen. Gegen acht waren fast alle Pilger fort und wir
begannen, jeder sein Haus herzurichten, wobei wir später von Laura und Rebeca
unterstützt wurden. Anschließend hieß es: „ Vamos a tomar un café — lasst uns Kaffee trinken gehen!“
Meist waren wir früh genug
fertig, um noch ein bisschen Zeit für uns zu haben, bevor wir um eins die
Herberge für die Pilger aufschlossen. Beim Aufnehmen der Pilgerdaten und
Stempeln der Credenciales wechselten wir uns ab,
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