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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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mussten verarztet werden. Ganz besonders aber liebten
sie es, skurrile Geschichten über andere Pilger zu hören, wie um sich zu
bestätigen, dass sie selbst solche Marotten nicht hätten — oder vielleicht
doch?
    „Ja, ja, Pilger sind schon
seltsame Bichos , seltsames Ungetier “, sinnierte Wolf gern und berichtete von
national-typischen Eigenheiten. „Franzosen steuern immer mit nachtwandlerischer
Sicherheit auf das beste Zimmer zu — das mit dem Blick auf den Feigenbaum.
Amerikanische Pärchen schlafen immer zusammen in einem Bett, egal wie unbequem
das ist. Die Spanier sind ständig mit ihren Handys zugange, tippen SMS ein oder
telefonieren so laut, dass man sie auch ohne Handy bis León hören kann. Und die
Österreicher müsste man eigentlich gleich hier im Empfangsbüro an den Füßen
hochheben und schütteln, damit ihnen dieses verdammte Tiroler Nussöl aus den
Taschen fällt, womit sie uns immer die Laken versauen.“
    Wobei ich noch hinzufügte, dass
grundsätzlich nur Deutsche mich fragten, von welcher Organisation ich denn sei —
und es schwer nachvollziehen konnten, dass jemand selbst organisiert und aus
freien Stücken als Hospitalera am spanischen Jakobsweg arbeitete.
    Im Salón lag auch das Gästebuch für die Pilger aus und eines Abends machte sich ein
freundlicher stiller Japaner daran, sich mit einer Zeichnung darin zu
verewigen. Es wurde ein sehr hübsches Bild, mit Buntstiften gemalt, eine
Impression von irgendwo am Camino und als ich dem Mann sagte, wie gut es mir
gefiele, holte er seinen Skizzenblock heraus. Statt mit dem Fotoapparat hatte
er seinen Pilgerweg mit Zeichnungen festgehalten, detailgetreu und sehr
gekonnt.
    „Sind Sie Maler?“, wollte ich
wissen.
    Er wiegte den Kopf, um
anzudeuten, dass sich diese Frage weder bejahen noch verneinen ließe.
„Vielleicht werde ich es, eigentlich war das schon immer mein Traum. Bisher
habe ich in der Werbebranche gearbeitet. Aber jetzt ist alles anders.“ Er hielt
inne und ich überlegte, wie alt er wohl sein mochte, dass er an einen Neuanfang
dachte. Er sah aus wie Ende dreißig, konnte aber genauso gut Mitte fünfzig sein
— Menschen anderer Rassen lassen sich für uns oft nur schwer schätzen. „Meine
Frau ist vor einiger Zeit gestorben“, fuhr der Japaner mit leiser Stimme fort,
„ich habe mich auf den Camino begeben, um wieder zu mir selbst zu finden.
Vielleicht weiß ich am Ende, dass ich Maler werde.“
    Ich schluckte und schämte mich
ganz entsetzlich. Da hatte ich unbekümmert läppische Phantasie-Szenarien
entworfen von einem Witwer, der auf dem Camino wieder Freude am Leben finden
wollte — und hier saß nun tatsächlich ein Witwer aus Fleisch und Blut vor mir,
dem der Sinn beileibe noch nicht nach neuer Freude stand, der sich zuerst
überhaupt einmal wieder fangen, aus seinem Schmerz zurück in den Alltag finden
wollte.
    Um meiner Verlegenheit Herr zu
werden und um ihm zu zeigen, dass ich seine Zeichnungen wirklich gut fand,
fragte ich: „Könnten Sie wohl ein Bild für mich malen?“
    „Aber sicher. Was möchten Sie
denn für ein Bild haben?“
    „Der andere Hospitalero hat
eine Zeichnung draußen an seiner Tür, damit alle wissen, dass er da wohnt“,
erklärte ich, „so was möchte ich auch gerne. Ein Bild für meine Zimmertür.“
    Der Japaner zückte seinen Block
und seine Stifte und begann, mich zu porträtieren.
    Das Bild war zwar letztlich
nicht sehr ähnlich, wenn man von Frisur und Augenfarbe absah, aber äußerst
ansprechend. „Wie schmeichelhaft“, meinte Laura dazu, „er hat dich viel jünger
gemalt.“
    Jedenfalls bedankte ich mich
herzlich, was den Maler zu freuen schien. Erst im Nachhinein wurde ich mir
bewusst, dass ich diesen Mann, obwohl er sehr liebenswürdig gewesen war, kein
einziges Mal hatte lächeln sehen und nie werde ich seine tieftraurigen Augen
vergessen, mit denen er mich, um das Porträt zu malen, immer wieder musterte.
     
    Neben dem Salón übten die Küchen, insbesondere die Große im Vorderhaus, enorme Anziehungskraft
auf die Pilger aus. Von Mittags an, kaum dass die Herberge geöffnet hatte, bis
in die Nacht hinein werkelten, aßen und saßen sie dort — die Küchen als
zentrale Treff- und Austauschpunkte, beliebter fast noch als der Patio.
    Ich selbst hatte auf meiner
Pilgerreise nur zwei, drei Mal gekocht. Es war mir zu umständlich, denn es gab
keineswegs in allen Herbergsküchen die Grundausstattung, die man für
anständiges Kochen braucht — Öl, Salz, Zucker, ein paar

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