Raum in der Herberge
überzeugt, dass Rabanal der richtige Ort für mich
sei. Wolf kannte die Besitzer der Herberge gut, rief sie an, erklärte, wer ich
war und was ich wollte und vereinbarte einen Tag, an dem ich kommen sollte, um
mich vorzustellen.
Ein paar Tage später fuhr ich
per Bus und Anhalter nach Rabanal. Das Vorstellungsgespräch mit Isabel, einer
Frau etwas jünger als ich, die für die Herberge verantwortlich war, verlief
freundlich, einvernehmlich und knapp, denn auch in Rabanal herrschte
Jakobszirkus.
„Am liebsten wäre mir, du
kämest Ende November, da will ich nämlich selbst zwei Wochen auf den Camino
gehen“, erklärte Isabel. „In dieser Zeit könntest du mich vertreten und meine
Mutter unterstützen.“
Sie stellte mich der Mutter,
dem Vater und ihrem Bruder José kurz vor und lud mich noch auf ein Bier ein.
Dann machte ich mich wieder auf den Weg zurück nach Mansilla.
„Ein ziemlich dicker Mann ist
angekommen und hat nach dir gefragt“, sagte Laura statt einer Begrüßung.
Matthias — wie schön, ihn
wiederzusehen. Wir gingen etwas trinken und Tapas essen und erzählten einander,
wie es uns in der Zwischenzeit ergangen war. Matthias hatte seinen Pilgerweg in
Tagesetappen von fünfzehn bis zwanzig Kilometern zurückgelegt und sich deshalb
auch keineswegs übernommen, wie Skeptiker Zuhause es ihm vorausgesagt hatten.
Im Gegenteil, er fühlte sich großartig und war begierig darauf, Santiago zu
erreichen.
„Die Energie wird immer größer,
je näher man Santiago kommt“, erklärte er mir und zog sein Pendel aus der
Tasche. Ich verstand nicht viel davon, fand es aber faszinierend, wie rasend
schnell Matthias’ Pendel ausschlug. Ein Beweis dafür, dass tatsächlich entlang
dem Camino geheime Energiebahnen verliefen?
Nein, nein, nein, es gefiel mir
gar nicht, dass ich nun bald nach Deutschland zurückfliegen sollte, vor allem
vor dem Hintergrund der düsteren beruflichen Aussichten, die mich dort
erwarteten. Ich hatte Laura einmal kurz davon erzählt und sie hatte nach
einigem Nachdenken gemeint: „Vielleicht solltest du was ganz Neues machen.
Schließlich sprichst du vier Sprachen und hast so viele andere Qualitäten.“
Das mochte ja sein, aber ich
war über fünfzig und das war der Knackpunkt auf dem Arbeitsmarkt, selbst wenn
ich mich wesentlich jünger fühlte und — wie mir alle ständig versicherten —
auch so wirkte.
Zum Abschied schenkte Laura mir
eine kleine Heiligenfigur — Sankt Pankraz .
„Der ist zuständig für gute
Geschäfte, deshalb steht er bei uns in Spanien in allen Kneipen“, erklärte sie
und fügte beziehungsreich hinzu, „und er fördert Neuanfänge aller Art.“ Was
hatte das zu bedeuten, dass ich in meiner Hospitalera-Zeit ständig
Glücksbringer geschenkt bekam? Dies war nun schon der Dritte.
Ich hatte meine Jademuschel für
Schutz auf allen Wegen, meinen Achatelefanten mit erhobenem Rüssel für Glück im
Allgemeinen und nun noch Sankt Pankraz , der mir bei
einem Neuanfang beistehen sollte.
Jetzt fehlte mir eigentlich nur
noch eines — göttlicher Segen.
Gelübde und
Neuanfänge
Rabanal del Camino
Das Autoradio spielte die
neuesten spanischen Hits und Laura und Rebeca sangen lauthals mit, während José
Ramon sicher und konzentriert den Wagen durch die novembergraue Landschaft
Richtung Rabanal steuerte. Meine spanische Familie brachte mich zu meinem neuen
Einsatzort.
Tags zuvor war ich in. Mansilla
angekommen. Ich hatte einen Gabelflug gebucht — hin nach Madrid, zurück ab
Santiago, das musste zum Abschluss einfach sein — und ich hatte mich sehr
einheimisch gefühlt, als ich in der spanischen Hauptstadt landete. Inzwischen
wusste ich genau, wie ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Flughafen zum
Busbahnhof kam, kaufte mir dort ein Ticket nach Mansilla und rief Laura an, um
ihr zu sagen, wann ich einträfe.
Der Bus ging erst am späteren
Nachmittag, ohne zu lesen hinter einem Buch sitzend döste ich mich durch die
Wartezeit und hatte das seltsame Gefühl „entkommen“ zu sein. Meine berufliche
Situation in Deutschland sah mittlerweile noch düsterer aus. Der Sender hatte
einigen freien Mitarbeitern, darunter auch mir, erklärt, dass er uns mit
Jahresende nicht weiter beschäftigen könne. Danach war ich quasi arbeitslos.
„Lass Spanien sausen“, hatten
Freunde und Bekannte mich vor diesem Hintergrund gemahnt, „bleib in Deutschland
und versuch, was Neues zu finden.“
Doch ich entschied mich ganz
bewusst anders. Nicht nach Rabanal zu
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