Raum in der Herberge
fahren hätte bedeutet, meine Recherchen
in Sachen Hospitalera und Camino unvollendet zu lassen, und wenn ich schon
meine andere Arbeit verloren hatte, wollte ich wenigstens dieses Projekt
abschließen. Außerdem war mir, aber das sagte ich niemandem, als sei für mich
ganz persönlich noch irgendetwas am Camino offen geblieben, als gäbe es dort
noch etwas, das ich bisher nicht entdeckt hatte.
Gegen neun Uhr abends fuhr mein
Bus in Mansilla ein. Da standen sie — Laura, Rebeca, José Ramon — zogen mich
aus dem Bus und in die Bar, versorgten mich mit dem neuesten Klatsch, bevor wir
nach Hause fuhren.
Es war wirklich wie heimkommen.
Ana hatte eines meiner Lieblingsgerichte zubereitet — Tortilla, spanisches Kartoffelomelett — und nach dem Essen
sackten wir in die Sofas vorm Fernseher und sahen aneinander gelümmelt „ Operación Trionfo “, die
hiesige Variante der Suche nach dem Superstar. Geborgen in der tröstlichen
Normalität spanischen Familienlebens empfand ich Deutschland mit all seinen
Problemen weit weg wie einen anderen Stern.
In der Herberge bekam ich
wieder mein Hospitalera-Zimmer, hatte das Hinterhaus für mich allein, weil im
Winter nur der vordere Trakt für Pilger geöffnet war.
Zwei von ihnen sah ich am
anderen Morgen, als ich nach alter Gewohnheit meinen Rundgang machte. Es waren
Japaner im Studentenalter, die umständlich ihre Sachen zusammenpackten und
dafür alles auf dem Boden ihres Zimmers ausgebreitet hatten. Ich nickte ihnen zu,
machte schon mal in den anderen Räumen ein bisschen sauber. Danach ging ich in
meiner Lieblingscafeteria frühstücken. Ich genehmigte mir gerade den zweiten
Café con leche, als ein Pilger hereinkam, ein Mann etwa in meinem Alter. Er
wirkte sympathisch mit seinem freundlichen Gesicht und dem gepflegten dichten
Schnauzbart. Aber den Ausschlag, ihn anzusprechen, gab ein drolliges kleines
Detail, das ich einfach liebenswert fand — an seinen Rucksack hatte er einen
Regenschirm gebunden, der einem Londoner Gentleman alle Ehre gemacht hätte.
Er hieß Bram, war so
sympathisch, wie er aussah, und stammte aus Utrecht in Holland. Von dort war er
im September aufgebrochen, um nach Santiago zu wandern.
„Ich bin gerade in einer
Umbruchsphase meines Lebens“, sagte er dazu, „deshalb habe ich mir eine Auszeit
genommen und gehe den Camino.“
Das fand ich interessant und
hätte gern mehr darüber gehört, aber dazu würde es ja vielleicht in Rabanal
Gelegenheit geben, wenn er dort Halt machte. Jedenfalls erklärte ich ihm genau,
wo ich als Hospitalera Dienst tun würde und fügte hinzu, ich würde mich freuen,
ihn dort zu treffen. Dann sah ich zu, dass ich zurück in die Herberge kam.
Laura wartete schon auf mich.
„José Ramon und Rebeca sind
gleich mit dem Wagen da. Wir bringen dich nach Rabanal.“
„Aber das müsst ihr doch nicht
machen“, protestierte ich halbherzig.
„Und wie willst du sonst dahin
kommen?“
Das stimmte nun auch wieder.
Bus oder Bahn gingen nur bis Astorga, die letzten zwanzig Kilometer auf der
einsamen Landstraße hätte ich trampen müssen oder
Isabel anrufen, damit sie mich abholte.
„Dreizehn Pilger haben von
gestern auf heute hier übernachtet“, wechselte Laura das Thema. „Ein verrücktes
Jahr ist das heuer. Noch jede Menge Pilger im November — das ist total
ungewöhnlich. Deshalb lasse ich die Albergue im Winter auf und viele andere
machen es ebenso.“
Ich hätte mir gar nicht
unbedingt das abgelegene Rabanal aussuchen müssen, sondern sozusagen freie
Auswahl gehabt. Aber das war nicht vorhersehbar gewesen und außerdem sprach
einiges für das kleine Gebirgsdorf, abgesehen von der Tatsache, dass hier
wirklich fast alle Pilger Halt machten vor der Überquerung des Gebirges. Es
würde einsam sein und damit vermutlich ein wenig skurril und auf jeden Fall
ganz anders als meine bisherigen Einsatzorte.
Im Sommer geht es in Rabanal
überaus lebhaft zu. Drei Herbergen gab es im Ort, die bekannteste war die von
einer englischen Bruderschaft betriebene Albergue Gaucelmo im Ortszentrum direkt am Camino. Wegen dieser Lage landeten viele Pilger
automatisch zunächst dort, doch in der Hochsaison wurden auch die beiden
anderen, die städtische und die private Albergue am Ortsrand neben der
Landstraße, rasch ebenfalls voll.
Im Winter nun hatte von den
drei Herbergen lediglich eine geöffnet — die private, in der ich arbeiten
würde.
Gegen Mittag kamen wir in
Rabanal an und wurden, trotz verhaltener Proteste seitens meiner
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