Raum in der Herberge
gleich
alt waren, mit Laura und Rebeca trotz des Altersunterschiedes einige Interessen
geteilt. Hier nun nahm ich Isabels Stelle ein, nicht nur was die Arbeit in der
Albergue betraf.
Hija , Tochter, nannte mich
Esperanza, und obwohl das in Spanien eine gängige Anrede von Älteren gegenüber
Jüngeren ist, fand ich es nett und fühlte mich in gewisser Weise auch so. Ich
mochte Esperanza sehr gern und empfand großen Respekt für sie, nachdem ich
mitbekommen hatte, dass der Löwenanteil aller Arbeit in Haus und Hof auf ihren
Schultern lastete. Auf den ersten Blick erschien sie in ihrer energischen
Tüchtigkeit ein wenig herb, doch schnell entdeckte ich, dass in der etwas rauen
Schale eine warmherzige Seele steckte.
Ich sah uns beide jedenfalls
als Team, schließlich waren es wir Frauen, die sich morgens gegen neun in der
Küche trafen, während die Männer noch schliefen. Die fanden wir erst später,
wenn wir bereits allerhand geschafft hatten, am Küchentisch bei Frühstück, Zeitungslektüre
und Fernseh-Nachrichten.
Mit Aufräumen und Putzen im
Pilgertrakt ließ ich mir für gewöhnlich Zeit, es gab keinen Grund zu hetzen,
schließlich war der Tag lang in Rabanal. Anschließend schaute ich, was sonst
noch anliegen könnte — Wäsche auf- oder abhängen, das Familienbad putzen,
kehren, Geschirr spülen — und wenn ich damit fertig war und das Wetter es
erlaubte, ging ich ein, zwei Stündchen in der Umgebung wandern.
Nie bot ich jedoch an, mich um
Hühner, Gänse und die drei Schweine zu kümmern, die in den Stallungen jenseits
der Scheune gehalten wurden, obwohl das meiner Gastfamilie sicher nicht unrecht
gewesen wäre. Aber mit Flattertieren hatte ich es nicht und die massigen
Schweine waren mir nicht geheuer. Außerdem fiel das Viehzeug in Serafins
Zuständigkeitsbereich, wobei er es am liebsten mochte, wenn Esperanza ihm dabei
zur Seite stand. Was ich verstehen konnte, denn Serafín war ein älterer Mann
und nicht ganz gesund. Bei José, Mitte dreißig, kräftig und belastbar, sah ich
allerdings nicht ein, warum er lediglich dafür zuständig sein sollte, Holz für
den Kamin im Pilgerraum und Kohle für den großen Ofen in der Familienküche
heranzuschaffen. „Was macht er eigentlich sonst noch?“, meinte ich einmal zu
Esperanza, während sie bügelte und ich spülte. Sie bog diese spitze Frage mit
mütterlicher Solidarität ab.
„Im Sommer, wenn hier alles
voller Pilger ist, arbeitet Jose schon viel“, versicherte sie, „aber im Winter
ist halt Zeit für descanso , zum ausruhen .“
Ich verkniff mir den Hinweis,
dass sie selbst ebenfalls ein bisschen descanso wohl
mehr als verdient hätte. Hier in diesem abgelegenen Gebirgsdorf war die
Macho-Welt noch in Ordnung — fragte sich nur, wie lange noch.
„Mir scheint, die spanischen
Frauen arbeiten verdammt hart“, sagte ich, um das Thema versöhnlich
abzuschließen. Sie nickte und wuchtete einen Kohleeimer in den Ofen.
„Das sag ich dir, Tochter, wir
arbeiten wahrhaftig.“
Im Grunde konnte ich Esperanza
nur bewundern, schließlich war sie nicht immer hier am Ort gewesen, sondern
hatte durchaus über Rabanals Tellerrand
hinausgeblickt. In jüngeren Jahren war sie in Madrid in der Hotellerie
beschäftigt gewesen, erwähnte sie mal nebenbei, in verschiedenen Funktionen,
unter anderem als Köchin.
Deshalb schmeckte ihr Essen
auch so lecker und ich fand es lieb, dass sie — wie schon Ana in Mansilla — so
viel Rücksicht darauf nahm, dass ich Vegetarierin war. Die Essenszeiten waren
für mich zwar wieder gewöhnungsbedürftig, aber immerhin gemäßigter als in
Mansilla — schließlich war Winter. Mittagessen um halb drei, Abendessen um
neun, daran konnte ich mich gerade noch anpassen.
Gelegentlich fuhr jemand von
der Familie mit dem Auto nach Astorga, um Einkäufe oder andere Erledigungen zu
machen und wenn es gerade passte, fuhr ich mit und bummelte durch die Stadt.
Einmal nutzte ich die Gelegenheit, um mir von Gaspar das Haus zeigen zu lassen,
in dem die neue Albergue entstehen sollte. Noch war alles im Rohbau, wir
mussten über Balken balancieren, um Löcher im Boden herumturnen. Aber aus dem,
was er mir erklärte, konnte ich mir den gemütlichem Aufenthaltsraum und die
geräumigen Zimmer ganz gut vorstellen. Gaspar hatte sowohl die Posada in
Rabanal wie auch sein Hotel Gaudí in Astorga nach eigenen Plänen sehr stilvoll
ausbauen und ausstatten lassen und dabei viel Geschmack bewiesen, seine
Herberge würde gewiss ebenfalls ein
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