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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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er würde bald nach Japan zurückkehren, wo
dann — nach einem weiteren Studienjahr — der Ernst des Lebens auf ihn wartete.
„Deshalb wollte ich vorher unbedingt etwas machen, worauf ich stolz sein
könnte“, erklärte er. „Da habe ich vom Camino gehört und mir gedacht: Wenn ich
diesen langen Weg schaffe, dann gewinne ich so viel Selbstvertrauen, dass ich
für die Arbeitswelt und alles, was sonst noch in Japan auf mich zukommt,
gewappnet bin.“
    Ob auf seinen Freund Ähnliches
zutraf, erfuhr ich nicht, denn der sagte nie etwas, vielleicht ging er einfach
aus Samurai-Treue mit.
    Mehr als die warmen Monate
schien mir der unwirtliche November vor allem einzelnen Wanderern zu gehören,
einsamen Wölfen und Wölfinnen, die allein gingen, um in sich zu schauen, sich
aber abends in den Herbergen gern zum Rudel zusammen fanden. Allerdings vollzog
der Camino auch jetzt seine Kuppler-Funktion, fügte Pilger zu Paaren zusammen —
wenn sie das brauchten.
    Eines Nachmittags schleppte
sich ein junger Deutscher in die Herberge, der ziemlich abgerissen aussah mit
seinen verfilzten Rasta-Locken und dem schmuddeligen Pulli Marke
„selbstgestrickt“. Seine alternativ anmutende Ausrüstung war nicht gerade
wintertauglich — kein Wunder, dass er sich eine schwere Erkältung geholt hatte.
Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen verordnete ich ihm eine heiße Dusche,
bevor ich ihn ins Bett schickte und ihm eine heiße Zitrone mit Honig brachte.
    Am Abend traf seine Freundin
per Fahrrad ein, eine überaus adrette Kanadierin, geradezu das Kontrastprogramm
zu ihm. Sie kümmerte sich rührend um den Jungen, aber das half nichts. Am
anderen Morgen konnte er kaum noch schlucken und hatte Fieber.
    „Ihm geht es sehr schlecht, wir
müssen hier bleiben“, sagte das Mädchen zu mir.
    „Schon klar — und er braucht
unbedingt Antibiotika, aber hier im Ort gibt es weder Arzt noch Apotheke“,
meinte ich und ging José suchen. Doch der war an diesem Morgen nicht greifbar,
vermutlich zu Freunden gefahren oder in die Stadt. Weil mir nichts Besseres
einfiel, schickte ich das Mädchen zu Gaspar.
    „Frag ihn, ob jemand aus der
Posada heute noch nach Astorga fährt und euch mitnehmen kann. Dann geht ihr zum
Arzt und zurück müsst ihr halt trampen.“
    Dank Gaspars Hilfsbereitschaft
mussten sie das jedoch nicht. Er selbst fuhr die beiden sowohl hin als auch
später wieder zurück. Abends bedankte ich mich herzlich dafür, aber er winkte
ab, als sei das selbstverständlich gewesen.
    Während der Junge sich gesund
schlief, erzählte mir das Mädchen später ein wenig von ihnen beiden. Pascal
habe gerade das Gymnasium hinter sich, erfuhr ich, er sei ein Junge aus gutem
Hause, völlig verträumt und mit mangelhaftem Realitätsbezug.
    Wahrscheinlich immer zu
behütet, dachte ich bei mir, deshalb jetzt das abgerissene Trotz-Outfit.
    Die propere Jacqueline hingegen
hatte seit ihrem dreizehnten Lebensjahr auf eigenen Füßen gestanden, in der
Gastronomie gearbeitet, wollte sich nun endlich etwas anderes suchen, wusste
aber noch nicht was. Unterdessen passte sie auf Pascal auf.
    „Früher war ich genauso
desorganisiert wie er“, sagte sie und musste dabei lachen, „wir haben uns sicher
nicht umsonst getroffen — ganz am Anfang meines Camino. Pascal ist so ein
Chaot, ihm ist sogar seine Kreditkarte irgendwie zerbrochen und jetzt wartet er
darauf, dass ihm seine Eltern Geld schicken — in eine der nächsten größeren
Städte.“
    Anderntags war Pascal soweit
wiederhergestellt, dass sie weiterziehen konnten.
    „Ich glaube, das musste dir
jetzt alles passieren — die Krankheit, die zerbrochene Kreditkarte, Jaqueline,
die dich puscht, sagte ich zum Abschied, „damit du dann am Ende deines Camino erwachsen
bist.“
    Pascal zog ein schiefes
Grinsen, was ihn sehr kindlich aussehen ließ. „Genauso denke ich mir das auch.
Das ist schon in Ordnung, wie das alles läuft.“
    Generell hatte ich den
Eindruck, dass diejenigen, die jetzt auf dem Camino waren, mehr als die Pilger
anderer Jahreszeiten bereit waren, alle mögliche Unbill zu akzeptieren. Sie
beklagten sich nicht über das Wetter, wofür sie im Allgemeinen von vornherein
besser ausgerüstet waren, und es schien ihnen nichts auszumachen, wenn sie kaum
etwas von der Landschaft sahen, weil diese von Nebelschwaden verhüllt wurde. Es
war ihnen wichtig, den Weg als solchen zu gehen, nachzudenken, in sich zu
schauen — schöne Landschaft oder gutes Wetter waren dabei willkommene Zugaben,
aber nicht

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