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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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wegen Kontinuität und therapeutischer Isolation , aber Grandma hat geschrien, dass er kein Recht hat, mich wie einen Gefangenen zu behandeln, ich habe nämlich sehr wohl eine Familie. Meine Familie ist Grandma, Stiefpa, Bronwyn, Onkel Paul, Deana und Grandpa, bloß den schüttelt es vor mir. Und dann noch Ma. Ich schiebe Schlimmerzahn in meine Backe. »Ist sie tot?«
    »Nein, wie oft soll ich dir das noch sagen? Definitiv nicht.« Grandma legt ihren Kopf auf das Holz um das Glas.
    Wenn Personen manchmal definitiv sagen, hört es sich eigentlich weniger wahr an. »Tust du nur so, als ob sie am Leben ist?«, frage ich Grandma. »Weil, wenn nämlich nicht, dann will ich auch nicht am Leben sein.«
    Jetzt laufen schon wieder lauter Tränen ihre Backen runter. »Ich kann … ich kann dir doch nicht mehr sagen, als ich selbst weiß, mein Schatz. Sie haben versprochen, dass sie sofort anrufen, sobald das nächste Bulletin da ist.«
    »Was ist ein Bulletin?«
    »Wie es ihr geht, genau in diesem Augenblick.«
    »Und wie geht es ihr?«
    »Nun ja, nicht sehr gut, weil sie zu viel von dieser garstigen Medizin genommen hat, das habe ich dir ja schon erzählt. Aber inzwischen haben sie die bestimmt schon ganz aus ihrem Magen gepumpt oder jedenfalls das meiste.«
    »Aber warum hat sie … ?«
    »Weil es ihr nicht gut geht. Im Kopf. Aber sie ist in guten Händen«, sagt Grandma, »du musst dir keine Sorgen machen.«
    »Warum?«
    »Na ja, weil es sowieso nichts hilft.«
    Das Gesicht von Gott ist ganz rot und hängt an einem Schornstein fest. Es wird dunkler. Schlimmerzahn drückt sich ganz fest in meinen Gaumen, er tut weh, ein schlimmer Schlimmerzahn.
    »Du hast ja deine Lasagne gar nicht angerührt«, sagt Grandma. »Willst du vielleicht ein Glas Saft oder so etwas?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Bist du müde? Du musst doch ganz müde sein, Jack. Also, ich bin jedenfalls hundemüde. Komm mit runter, dann zeige ich dir das Gästezimmer.«
    »Warum ist es für Gäste?«
    »Das heißt, dass wir es nicht benutzen.«
    »Warum habt ihr einen Raum, den ihr nicht benutzt?«
    Grandma zuckt mit den Achseln. »Man weiß ja nie, ob man nicht doch mal einen Gast hat.« Sie wartet, bis ich auf meinem Popo die Stufen runter bin, weil es kein Geländer gibt, an dem man sich festhalten kann. Ich ziehe meine Dora-Tasche hinter mir her, wumpf wumpf. Wir gehen durch den Raum, der Wohnzimmer heißt, ich weiß nicht, warum, weil Grandma und Stiefpa wohnen nämlich in allen Räumen, bloß nicht in dem, der für Gäste ist.
    Dann ein entsetzliches Waa waa , ich halte mir die Ohren zu. »Da gehe ich besser mal dran«, sagt Grandma.
    Eine Minute später kommt sie wieder und bringt mich in einen Raum. »Bist du so weit?«
    »Wofür?«
    »Ins Bett zu gehen, mein Schatz.«
    »Nicht hier.«
    Sie drückt an ihrem Mund herum, da, wo die kleinen Risse sind. »Ich weiß ja, dass du deine Ma vermisst, aber fürs Erste musst du mal allein schlafen. Keine Sorge, Stiefpa und ich sind gleich oben. Du hast doch keine Angst vor Monstern, oder?«
    Kommt auf das Monster an, ob es in echt ist oder nicht und ob es da ist, wo ich bin.
    »Hmm. Das alte Schlafzimmer deiner Ma ist gleich neben unserem«, sagt Grandma, »aber das haben wir in einen Fitnessraum umgebaut, ich weiß nicht, ob da Platz für eine Luftmatratze …«
    Ich klettere die Stufen rauf, diesmal mit meinen Füßen, ich drücke mich einfach gegen die Wände, und Grandma trägt meine Dora-Tasche. Es gibt labberige blaue Matten und Hanteln und Bauchquetscher, die habe ich alle schon im Fernseher gesehen. »Ihr Bett war an dieser Stelle und ihr Kinderbettchen auch, als sie noch ein Baby war«, sagt Grandma und zeigt auf ein Fahrrad, das am Boden festgemacht ist. »Die ganzen Wände waren voller Poster, du weißt schon, von ihren Lieblingsbands, da war ein Riesenventilator, ein Traumfänger.«
    »Warum hat er ihre Träume gefangen?«
    »Wie bitte?«
    »Der Ventilator.«
    »Ach, nein, das war doch nur zur Dekoration. Ich komme mir jetzt ganz schlecht vor, dass ich alles für wohltätige Zwecke gespendet habe. Ein Betreuer in der Trauergruppe hat uns damals dazu geraten …«
    Ich gähne ganz lange. Beinahe fällt mir Schlimmerzahn runter, aber ich fange ihn mit der Hand auf.
    »Was ist das denn?«, fragt Grandma. »Eine Perle oder so was? Nie an kleinen Gegenständen lutschen, hat deine …?«
    Sie versucht meine Finger umzubiegen, damit sie ihn kriegt. Meine Hand schlägt sie fest auf ihr Bäuchlein.
    Sie

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