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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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paar, weil ich meine Finger nicht fühlen kann.
    Das Dunkel kommt wieder, aber Ma hat alle Lieder aus Mein großes Buch der Kinderlieder im Kopf dabei, ich sage, sie soll mir Oranges and Lemons singen. Meine Lieblingsstelle ist: I do not know, says the great Bell of Bow, weil es da so tief runtergeht wie bei einem Löwen. Und außerdem die Stelle mit Here comes the chopper to chop off your head. »Was ist ein Chopper ?«
    »Das ist wohl ein großes Messer.«
    »Glaube ich nicht«, sage ich ihr. »Das ist ein Helikopter, die Flügel drehen sich ganz schnell und hacken Köpfe ab.«
    »Bäh.«
    Wir sind gar nicht müde, aber ohne was zu sehen kann man nicht viel machen. Wir setzen uns auf Bett und machen uns unsere eigenen Reime. »Unser Freund Wickles isst gerne Mixed Pickles.«
    »Unsere Freunde, die Pinguine, wollen keine Linguine.«
    »Der war gut«, lobe ich Ma. »Unser Freund Shannon hat gewinnt das Rennen.«
    »Gewonnen«, sagt Ma. »Unsere Freundin Jools liebt Swimmingpools.«
    »Unser Freund Barney wohnt auf ’ner Farm-y.«
    »Reim dich oder ich fress dich.«
    »Na gut«, sage ich. »Unser Freund Onkel Paul fiel gestern aufs Maul.«
    »Er ist wirklich mal vom Motorrad gefallen.«
    Ich hatte ganz vergesst, dass der ja in echt war. »Warum ist er vom Motorrad gefallen?«
    »Es war ein Unfall. Aber der Rettungswagen hat ihn in ein Krankenhaus gebracht, und die Ärzte haben ihn wieder heile gemacht.«
    »Haben sie ihn aufgeschneidet?«
    »Aber nein, sie haben ihm nur einen Gips um den Arm getan, damit es nicht mehr wehtut.«
    Krankenhäuser sind also auch in echt, genau wie Motorräder. Bestimmt platzt mir noch der Kopf wegen den ganzen neuen Sachen, die ich glauben soll.
    Jetzt ist es ganz schwarz, nur Oberlicht glänzt irgendwie dunkel. Ma sagt, in eine Stadt gibt es immer ein bisschen Licht von den Straßenlaternen und den Lampen in den Gebäuden und so.
    »Wo ist die Stadt?«
    »Gleich da draußen«, sagt sie und zeigt auf Bettwand.
    »Aber ich habe durch Oberlicht geguckt und sie nirgendwo gesehen.«
    »Und deshalb bist du ja auch böse auf mich geworden.«
    »Ich bin nicht böse auf dich.«
    Sie gibt mir meinen Kuss zurück. »Oberlicht zeigt schnurstracks in den Himmel. Und die meisten Sachen, von denen ich dir erzählt habe, sind am Boden. Wenn wir die sehen wollten, bräuchten wir ein Seitenfenster.«
    »Wir könnten doch nach einem Seitenfenster als Sonntagsgutti fragen.«
    Ma lacht ein bisschen.
    Ich hatte schon vergesst, dass Old Nick gar nicht mehr kommt. Vielleicht war mein Lolli überhaupt das allerletzte Sonntagsgutti.
    Erst glaube ich, dass ich gleich zu weinen anfange, aber was dann rauskommt, ist ein riesiges Gähnen. »Gute Nacht, Raum«, sage ich.
    »Ist es schon so spät? Na dann, gute Nacht«, sagt Ma.
    »Gute Nacht, Lampe und Ballon.« Ich warte auf Ma, aber sie sagt nichts mehr. »Gute Nacht, Jeep, und gute Nacht, Fernsteuerung. Gute Nacht, Teppich, gute Nacht, Mummeldecke, und gute Nacht, ihr Läuse. Und nicht beißen.«
     
     
     
    Was mich aufweckt, ist ein Geräusch, immer wieder von Neuem. Ma ist nicht in Bett. Es gibt ein bisschen Licht, die Luft ist immer noch eisekalt. Ich gucke über den Rand, und sie hockt in der Mitte von Boden und macht mit ihrer Hand watsch watsch watsch . »Was hat Boden denn gemacht?«
    Ma hört auf und pustet ganz lange die Luft aus den Backen. »Ich muss auf irgendwas einschlagen«, sagt sie, »aber ich will auch nichts kaputt machen.«
    »Warum denn nicht?«
    »Ehrlich gesagt, würde ich mit Vergnügen etwas kaputt machen. Am liebsten alles.«
    Ich mag es nicht, wenn sie so ist. »Was gibt es zum Frühstück?«
    Ma guckt mich nur an. Dann steht sie auf, geht rüber zu Schränkchen und holt einen Bagel heraus, ich glaube, es ist der letzte.
    Selbst isst sie nur ein Viertel, sie hat nicht so großen Hunger.
    Wenn wir unseren Atem rausblasen, ist er ganz neblig. »Das liegt daran, dass es heute kälter ist«, sagt Ma.
    »Du hast gesagt, es würde nicht mehr kälterer.«
    »Tut mir leid, da habe ich mich wohl vertan.«
    Ich esse den Bagel auf. »Hast du immer noch eine Grandma und einen Grandpa und einen Onkel Paul?«
    »Ja«, sagt Ma und lächelt ein bisschen.
    »Sind sie im Himmel?«
    »Aber nein.« Ihr Mund zuckt. »Jedenfalls glaube ich das nicht. Paul ist nur drei Jahre älter als ich, er ist also – meine Güte, der muss jetzt neunundzwanzig sein.«
    »In Wahrheit sind sie hier«, flüstere ich. »Sie verstecken sich.«
    Ma sieht sich um.

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