Raum
»Wo?«
»Unter Bett.«
»Oha, da sind sie aber eingequetscht. Schließlich sind sie zu dritt und ziemlich groß.«
»So groß wie Nilpferde?«
»Ganz so groß nicht.«
»Vielleicht sind sie … in Schrank.«
»Bei meinen Kleidern?«
»Ja. Wenn wir es klappern hören, dann sind die es, und die Kleiderbügel fallen runter.«
Mas Gesicht ist ganz leer.
»Ich hab doch nur Spaß gemacht«, erkläre ich ihr.
Sie nickt.
»Können sie irgendwann mal in echt hierherkommen?«
»Ich wünschte, das könnten sie«, sagt Ma. »Ich bete so sehr darum, jede Nacht.«
»Ich höre dich aber gar nicht.«
»Nur im Kopf«, sagt Ma.
Ich wusste gar nicht, dass sie Sachen in ihrem Kopf betet, wo ich sie nicht hören kann.
»Sie wünschen es sich auch«, sagt Ma, »aber sie wissen nicht, wo ich bin.«
»Du bist doch mit mir in Raum.«
»Aber sie wissen nicht, wo das ist, und von dir wissen sie überhaupt nichts.«
Das ist komisch. »Sie könnten doch auf Doras Landkarte gucken, und dann würde ich da als Überraschung rausspringen.«
Beinahe lacht Ma, aber nicht wirklich. »Raum ist auf keiner Landkarte.«
»Wir könnten es ihnen am Telefon sagen, Bob der Baumeister hat eins.«
»Aber wir nicht.«
»Wir könnten doch nach einem als Sonntagsgutti fragen«, fällt mir ein. »Wenn Old Nick nicht mehr sauer ist.«
»Jack! Der würde uns niemals ein Telefon geben, nicht mal ein Fenster.« Ma nimmt meine Daumen in die Hand und drückt sie. »Wir sind wie Leute in einem Buch, und er lässt keinen anderen darin lesen.«
Für Sport machen wir Schnelllauf. Es ist schwer, Tisch und die Stühle zu verrücken, wenn die Hände sich anfühlen, als wären sie nicht da. Ich laufe zehn Mal hin und zurück, aber danach ist mir immer noch nicht warm, und meine Zehen sind stolperig. Dann machen wir Trampolin und Karate, hi-jah , und danach suche ich mir wieder Bohnenstängel aus. Ma sagt, na gut, aber ich muss versprechen, dass ich nicht ausflippe, wenn ich nichts sehe. Ich klettere auf Tisch, auf meinen Stuhl und auf Müll und wackele kein bisschen. Ich halte mich an den Rändern fest, wo Dach schräg bis zu Oberlicht hochgeht. Ich glotze so lange durch die Honigwabe auf das Blau, dass ich blinzeln muss. Nach einer Weile sagt Ma, sie will runter und Mittagessen machen.
»Bitte kein Gemüse, mein Bäuchlein verträgt das nicht.«
»Wir müssen es aber aufbrauchen, bevor es schlecht wird.«
»Wir könnten doch Nudeln essen.«
»Die muss man kochen, und wir haben doch keinen Strom.«
»Dann eben Reis. Was ist, wenn … ?« Dann vergesse ich zu sprechen, weil ich es durch die Honigwabe sehe. Das Ding ist so klein, dass ich erst glaube, ich habe nur was im Auge, habe ich aber nicht. Es ist eine kleine Linie, die einen dicken weißen Streifen auf den Himmel macht. »Ma …«
»Was?«
»Ein Flugzeug!«
»Wirklich?«
»Wirklich in echt. Oh …«
Dann falle ich auf Ma und dann auf Teppich, Müll knallt auf uns drauf und auch mein Stuhl. Ma sagt aua aua aua und reibt sich das Handgelenk. »Tut mir leid, tut mir leid«, rufe ich und küsse es wieder gut. »Ich hab es gesehen, es war ein richtiges Flugzeug, nur in klein.«
»Das kommt nur daher, weil es so weit weg ist«, sagt sie und lächelt ganz viel. »Ich wette, wenn du es von Nahem sehen würdest, dann wäre es in Wahrheit riesig.«
»Das Irrste war, dass es ein I auf den Himmel gemalt hat.«
»Das nennt man einen …« Sie schlägt sich an den Kopf. »Fällt mir nicht mehr ein. Es ist so eine Art Streifen, von dem Rauch, den das Flugzeug macht.«
Zum Mittagessen essen wir die ganzen sieben letzten Cracker mit dem klebrigen Käse. Wir halten die Luft an, damit wir ihn nicht riechen müssen.
Unter Zudeck gibt Ma mir was. Das gelbe Gesicht von Gott leuchtet ein bisschen, aber nicht genug zum Sonnenbaden. Ich kann nicht ausschalten. Ich starre so feste rauf zu Oberlicht, dass mir die Augen zu jucken anfangen, aber Flugzeuge sehe ich keine mehr. Trotzdem, das eine habe ich in echt gesehen, als ich oben auf Bohnenstängel war, es war kein Traum. Ich habe es im Draußen vorbeidüsen sehen, also gibt es das Draußen wirklich, wo Ma ein kleines Mädchen war.
Wir stehen auf und spielen das Fadenspiel und Domino und Unterseeboot und Puppen und eine Menge anderer Sachen, aber immer nur kurze Zeit. Wir machen Summen, aber die Lieder sind alle zu einfach zu raten. Dann gehen wir wieder in Bett und wärmen uns auf.
»Los, morgen gehen wir ins Draußen«, sage ich.
»Ach, Jack.«
Ich
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