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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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Stuhlschaukel und schaukelt.
    »Was machst du?«
    »Ich denke immer noch nach.« Eine Minute später fragt sie: »Was hast du da in dem Kissenbezug?«
    »Das ist mein Rucksack.« Ich habe zwei von den Ecken an meinem Hals zusammengeknotet. »Der ist für wenn wir ins Draußen gehen, wenn wir gerettet werden.« Ich habe Schlimmerzahn und Jeep und Fernsteuerung und eine Unterhose für mich und eine für Ma reingetan und außerdem Schere und die vier Äpfel, falls wir Hunger kriegen. »Gibt es da Wasser?«, frage ich.
    Ma nickt. »Flüsse, Seen …«
    »Nein, ich meine zum Trinken. Gibt es einen Wasserhahn?«
    »Haufenweise Wasserhähne.«
    Ich bin froh, dass ich keine Wasserflasche mitnehmen muss, mein Rucksack ist nämlich jetzt schon ziemlich schwer. Ich muss ihn vom Hals weghalten, damit er mir nicht das Sprechen abquetscht.
    Ma schaukelt und schaukelt. »Früher habe ich oft davon geträumt, wie ich gerettet werde«, sagt sie. »Ich habe Botschaften geschrieben und sie in Abfallbeuteln versteckt, aber es hat sie nie jemand gefunden.«
    »Du hättest sie durch Klo schicken sollen.«
    »Und wenn wir schreien, hört uns auch kein Mensch«, sagt Ma. »Gestern habe ich die halbe Nacht lang das Licht an- und ausgeschaltet, und irgendwann habe ich gedacht, es sieht sowieso keiner.«
    »Aber …«
    »Niemand wird uns retten.«
    Zuerst sage ich gar nichts. Und dann sage ich: »Du weißt auch nicht immer alles.«
    So ein komisches Gesicht wie jetzt habe ich bei ihr noch nie gesehen.
    Ich hätte lieber, sie wäre den ganzen Tag Verschwunden, als wenn sie so eine Nicht-Ma ist wie jetzt.
    Ich hole meine ganzen Bücher von Regal und lese sie: Mein Aufklappbuch Flughafen und Mein großes Buch der Kinderlieder und Der Bagger Dylan , mein Lieblingsbuch nämlich, und Das Häschen, das weglief , aber da höre ich in der Mitte auf und hebe den Rest für Ma auf. Dafür lese ich ein bisschen Alice , das mit der gruseligen Herzogin lasse ich aber aus.
    Endlich hört Ma auf zu schaukeln.
    »Kann ich was kriegen?«
    »Klar«, sagt sie. »Komm her.«
    Ich setze mich auf ihren Schoß, hebe ihr T-Shirt hoch und trinke ganz viel und ganz lange.
    »Fertig?«, fragt sie in mein Ohr.
    »Ja.«
    »Hör mal zu, Jack. Hörst du zu?«
    »Ich höre immer zu.«
    »Wir müssen hier raus.«
    Ich glotze sie an.
    »Und wir müssen es ganz allein hinkriegen.«
    Aber sie hat doch gesagt, wir wären wie Leute in einem Buch, wie kann denn jemand aus einem Buch fliehen?
    »Wir müssen einen Plan austüfteln.« Ihre Stimme ist ganz hoch.
    »Und was für einen?«
    »Keine Ahnung. Ich versuche schon seit sieben Jahren, mir was einfallen zu lassen.«
    »Wir könnten ja die Wände einreißen.« Aber wir haben keinen Jeep, mit dem man sie umfahren könnte, und auch keine Planierraupe. »Wir könnten sogar … Türe sprengen.«
    »Und womit?«
    »Bei Tom und Jerry hat das der Kater mal gemacht …«
    »Es ist wirklich ganz toll, dass du dir was einfallen lässt«, sagt Ma, »aber was wir brauchen, ist eine Idee, die auch wirklich funktioniert.«
    »Eine riesengroße Explosion«, schlage ich vor.
    »Wenn sie riesengroß ist, dann fliegen wir dabei selbst in die Luft.«
    Daran hatte ich nicht gedacht. Ich falle mir noch was ein. »Oh, Ma! Wir könnten doch … wir könnten warten, bis Old Nick einen Abend reinkommt, und dann könnten wir sagen: ›Oh, guck mal, was für einen leckeren Kuchen wir gemacht haben, nimm dir ein großes Stück von unserem leckeren Osterkuchen.‹ Und in Wahrheit wäre er vergiftet.«
    Ma schüttelt den Kopf. »Selbst wenn wir ihn krank machen, gibt er uns den Code trotzdem nicht.«
    Ich denke so feste nach, dass es wehtut.
    »Sonst noch eine Idee?«
    »Du sagst doch sowieso jedes Mal Nein.«
    »Sei nicht böse. Ich versuche doch nur, realistisch zu sein.«
    »Was für Ideen sind realistisch?«
    »Weiß ich auch nicht. Ich weiß es einfach nicht.« Ma leckt sich über die Lippen. »Ich muss immer wieder an diesen einen Moment denken, wo die Tür aufgeht … wenn wir genau den richtigen Zeitpunkt erwischen, diese eine Zehntelsekunde, dann könnten wir vielleicht an ihm vorbeistürmen.«
    »Au ja, das ist eine coole Idee.«
    »Und selbst wenn nur du allein rauskämst, während ich ihm die Augen traktiere …« Ma schüttelt den Kopf. »Ausgeschlossen.«
    »Nein, eingeschlossen!«
    »Er würde dich erwischen, Jack. Er würde dich erwischen, noch bevor du halb durch den Garten wärst, und dann …« Sie spricht nicht weiter.
    Nach einer

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