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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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flüstere ich. Vielleicht wächst er sich im Meer ja wieder ganz zusammen und danach bis in den Himmel.
    Das Meer ist ja in echt, fällt mir dabei wieder ein. Im Draußen ist alles in echt, alles, was es gibt, weil ich in dem Blauen zwischen den Wolken das Flugzeug gesehen habe. Ma und ich können da nicht hin, weil wir den geheimen Code nicht kennen, aber trotzdem ist es in echt.
    Davor wusste ich noch nicht mal, dass man darüber wütend sein kann, dass wir Türe nicht aufkriegen. Mein Kopf war zu klein, das Draußen passte gar nicht rein. Als ich ein kleiner Junge war, habe ich auch wie ein kleiner Junge gedacht. Aber jetzt bin ich fünf und weiß alles.
    Gleich nach dem Frühstück baden wir, das Wasser ist ganz dampfig, hmmm. Wir lassen Wanne so volllaufen, dass es beinahe eine Überschwemmung macht. Ma legt sich nach hinten und schläft beinahe ein. Ich wecke sie auf, damit ich ihr die Haare waschen kann und sie mir meine. Wir waschen auch die Wäsche, aber danach sind überall lange Haare auf den Laken, die müssen wir abpflücken, wir machen ein Rennen und gucken, wer schneller ist.
    Zeichentrick ist schon vorbei, jetzt malen Kinder Eier an für das Häschen, das weglief. Ich gucke mir jedes verschiedene Kind an und sage im Kopf: Du bist in echt .
    »Das ist das Osterhäschen, nicht das, was weggelaufen ist«, sagt Ma. »Paul und ich haben früher immer … als wir noch klein waren, hat uns der Osterhase in der Nacht Schokoladeneier gebracht und sie überall im Garten versteckt, unter Büschen und in Löchern in den Bäumen, sogar in der Hängematte.«
    »Hat er dafür deine Zähne mitgenommen?«, frage ich.
    »Nein, es war alles umsonst.« Ihr Gesicht ist ganz alle.
    Ich glaube nicht, dass der Osterhase weiß, wo Raum ist, und Büsche und Bäume haben wir sowieso nicht, die sind vor Türe.
    Es ist ein ziemlich gut gelaunter Tag, weil es warm ist und was zu essen da, aber Ma ist gar nicht gut gelaunt. Wahrscheinlich vermisst sie Pflanze.
    Ich darf bei Sport aussuchen, heute machen wir Wandern. Wir nehmen uns an der Hand und marschieren auf Laufbahn und rufen ganz laut, was wir sehen können. »Guck mal, Ma, ein Wasserfall.«
    Eine Minute später rufe ich: »Guck mal, Ma, ein Gnu.«
    »Wahnsinn.«
    »Du bist dran.«
    »Oh, guck mal«, sagt Ma. »Eine Schnecke.«
    Ich bücke mich, damit ich sie sehen kann. »Guck mal, eine Planierraupe, die einen Wolkenkratzer plattmacht.«
    »Guck mal«, sagt sie. »Ein Flamingo fliegt vorbei.«
    »Guck mal, ein sabbernder Zombie.«
    »Jack!« Aber erst mal muss sie trotzdem grinsen.
    Dann marschieren wir noch schneller und singen dabei: »This Land is Your Land.«
    Danach legen wir Teppich wieder hin, jetzt ist sie unser fliegender Teppich, wir düsen über den Nordpol.
    Dann will Ma Toter Mann haben, wo wir ganz still daliegen müssen, ich vergesse es aber und kratze mich an der Nase, sie gewinnt. Als Nächstes will ich Trampolin machen, aber sie sagt, sie hat keine Lust mehr auf Sport.
    »Dann machst du eben einfach den Kommentar und ich das Hüpfen.«
    »Tut mir leid, aber ich lege mich lieber noch mal ein Weilchen hin.«
    Heute ist sie aber wirklich nicht besonders lustig.
    Ganz langsam ziehe ich Eierschlange unter Bett raus, ich kann hören, wie sie mit ihrer Nadelzunge zischt: »Ssslafe sanft, sssüß und fein.« Ich streichle sie vor allem an den Eiern, die angeknackst oder eingedellt sind. Eins zerbröselt mir in den Fingern. Mit einer Prise Mehl mache ich eine Klebe und pappe die Stücke auf ein Schreibpapier, jetzt ist es ein Berg mit ganz vielen Zacken. Ich will ihn Ma zeigen, aber die hat die Augen zu.
    Also gehe ich in Schrank und spiele, dass ich ein Bergmann bin. Unter meinem Kopfkissen finde ich einen Goldklumpen, in Wahrheit ist es Schlimmerzahn. Er ist nicht lebendig und hat sich nicht gebogen, er ist abgebrochen, aber trotzdem müssen wir ihn nicht durch Klo runterspülen. Er ist doch aus Ma gemacht, aus ihrem Gesicht geschneidet.
    Ich stecke meinen Kopf raus, und Mas Augen gehen auf. »Was machst du?«, frage ich sie.
    »Ich denke nur nach.«
    Wenn ich nachdenke, kann ich dabei gleichzeitig was Interessantes tun. Sie etwa nicht?
    Sie steht auf, um das Mittagessen zu machen, heute kommt es aus einer Schachtel mit ganz orangenen Makkaroni, delicioso .
    Danach spiele ich Ikarus, dem die Flügel schmelzen. Ma macht ganz langsam den Abwasch. Ich warte, dass sie fertig wird, damit wir spielen können, aber sie will nicht spielen, sie sitzt einfach nur in

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