Raum
den Kopf. »Er wird allmählich zu eng hier.«
»Was?«
»Raum«
»Raum ist nicht eng. Guck doch.« Ich klettere auf meinen Stuhl und springe mit ausgestreckten Armen hoch und drehe mich um mich rum. Ich stoße gegen gar nichts.
»Du hast ja keine Ahnung, was das hier bei dir anrichtet.« Ihre Stimme ist zittrig. »Du solltest alles sehen, alles anfassen können …«
»Mache ich doch schon.«
»Noch mehr, ganz andere Sachen. Du brauchst mehr Platz. Gras. Ich dachte, du wolltest Grandma und Grandpa kennenlernen, und Onkel Paul. Auf dem Spielplatz schaukeln, Eis essen …«
»Nö, lieber nicht.«
»Ach, vergiss es einfach.«
Ma zieht ihre Sachen aus und ihr Schlaf-T-Shirt an. Ich auch. Sie sagt gar nichts mehr, so böse ist sie auf mich. Sie bindet den Abfallbeutel zu und stellt ihn neben Türe. Heute Abend keine Liste.
Wir putzen unsere Zähne. Sie spuckt aus. Auf ihrem Mund ist was Weißes. Ihre Augen gucken meine in Spiegel an. »Wenn ich könnte, würde ich dir ja mehr Zeit lassen«, sagt sie. »Ich schwöre, ich würde in aller Ruhe abwarten, bis du so weit bist, wenn ich glauben würde, dass uns nichts passieren kann. Kann es aber doch.«
Ganz schnell drehe ich mich zu der echten Ma um und vergrabe mein Gesicht in ihrem Bäuchlein. Ich mache ein bisschen Zahnpasta auf ihr T-Shirt, aber das ist ihr egal.
Wir liegen auf Bett, und Ma gibt mir was, aus der Linken, reden tun wir nicht.
In Schrank kann ich nicht einschlafen, leise singe ich: »John Jacob Jingleheimer Schmidt.« Ich warte, dann singe ich es noch mal.
Endlich antwortet Ma. »His name is my name, too.«
»Whenever I got out …«
»The people always shout …«
»There goes John Jacob Jingleheimer Schmidt …«
Normalerweise macht sie bei dem na na na na na na na immer mit, das ist ja die lustigste Stelle, aber heute nicht.
Ma weckt mich auf, aber es ist immer noch Nacht. Sie beugt sich in Schrank, und als ich mich aufsetze, stoße ich mir die Schulter an. »Komm schnell gucken«, sagt sie.
Wir stehen neben Tisch und starren hoch. Da oben ist das riesigste silberne Gesicht von Gott, das man sich vorstellen kann. So hell, dass es alles in Raum glänzen lässt, die Wasserhähne und Spiegel und die Töpfe und Türe und sogar Mas Backen. »Weißt du was?«, sagt sie. »Manchmal ist der Mond ein Halbkreis und manchmal eine Sichel und manchmal nur eine kleine Kurve, so wie wenn man sich den Fingernagel schneidet.«
»Quatsch«, sage ich. »Das ist doch nur Fernseher.«
Sie zeigt hoch zu Oberlicht. »Du hast ihn immer nur gesehen, wenn er voll und direkt über uns war. Aber wenn wir hier rauskommen, können wir ihn auch tiefer am Himmel sehen, und dann hat er alle möglichen Formen. Manchmal sogar am Tag.«
»Kommt nicht in die Tüte.«
»Das stimmt aber. Du ahnst ja nicht, was für einen Spaß du in der Welt haben wirst. Warte nur mal, bis du die Sonne untergehen siehst, ganz rot …«
Ich gähne.
»Tut mir leid«, sagt sie, jetzt flüstert sie wieder. »Komm wieder ins Bett.«
Ich gucke, ob der Abfallbeutel weg ist. Ist er. »War Old Nick da.«
»Ja. Ich habe ihm erzählt, dass du irgendwie krank wirst. Krämpfe, Durchfall.« Mas Stimme lacht beinahe.
»Warum hast du …«
»So fängt er langsam an, unseren Trick zu glauben. Morgen Abend ist es so weit, dann machen wir es.«
Ich reiße meine Hand aus ihrer. »Das hättest du ihm nicht sagen dürfen.«
»Jack …«
»Keine gute Idee.«
»Es ist ein guter Plan.«
»Es ist ein dämlicher Doof-Plan.«
»Es ist der Einzige, den wir haben«, sagt Ma ganz laut.
»Aber ich habe Nein gesagt.«
»Stimmt, und davor hast du Vielleicht gesagt, und davor hast du Ja gesagt.«
»Du bist ein Mogler.«
»Ich bin deine Mutter.« Ma brüllt beinahe. »Und das heißt, dass ich manchmal für uns beide entscheiden muss.«
Wir gehen in Bett. Ich rolle mich zusammen, sie ist hinter mir.
Ich wünschte, wir hätten als Sonntagsgutti diese besonderen Boxhandschuhe bekommen, dann dürfte ich sie hauen.
Als ich aufwache, habe ich Angst, und die geht nicht weg.
Ma lässt uns nach dem Kackamachen nicht abziehen, sie verquirlt alles mit dem Griff von Holzlöffel, bis es aussieht wie Kacka-Suppe, es stinkt ganz fürchterlich.
Wir spielen überhaupt nicht, wir üben nur, wie ich labberig bin und kein einziges Wort sage. Ich fühle mich sogar in echt ein bisschen krank, Ma sagt, das ist nur Einbildungskraft. »Du kannst dich so gut verstellen, dass du dich sogar selbst
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