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Raum

Raum

Titel: Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Donoghue
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wieder Manieren. »Danke.«
    Sie lachen beide, ich habe aus Versehen schon wieder einen Witz gemacht. »Erst ›sehr gut‹ und dann ›danke‹«, sagt Grandma.
    »Sehr gut und dann danke.«
    »Außer natürlich, es geht dir gar nicht gut, dann kannst du auch sagen: ›Heute nicht so hundertprozentig.‹« Sie dreht sich wieder zu Ma um. »Ach übrigens, Sharon, Michael Keelor und Joyce Soundso … die haben schon mehrmals angerufen.«
    Ma nickt.
    »Sie können es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«
    »Ich bin … die Ärzte sagen, für Besuche ist es bei mir noch ein bisschen früh«, sagt Ma.
    »Aber sicher, natürlich.«
    Der Leo-Mann steht an der Tür.
    »Kann er nicht mal kurz reinkommen?«, fragt Grandma.
    »Mir egal«, sagt Ma.
    Er ist mein Stief -Grandpa , deshalb meint Grandma, ich soll ihn doch einfach Stiefpa nennen, ich wusste gar nicht, dass sie auch Wörtersandwich kennt. Er riecht komisch, irgendwie nach Rauch, er hat ganz krumme Zähne und überall Augenbrauen.
    »Wieso hat er lauter Haare im Gesicht und keine am Kopf?«
    Er lacht, trotzdem ich das nur zu Ma geflüstert habe. »Wenn ich das wüsste«, sagt er.
    »Wir haben uns auf einem Indian Head Massage Weekend kennengelernt«, sagt Grandma, »und ich habe mir ihn ausgesucht, weil er sozusagen die glatteste Arbeitsoberfläche bot.« Sie lachen alle beide, Ma aber nicht.
    »Kann ich was kriegen?«, frage ich.
    »Gleich«, sagt Ma, »wenn sie gegangen sind.«
    Grandma fragt: »Was will er?«
    »Ist schon in Ordnung.«
    »Soll ich die Schwester rufen?«
    Ma schüttelt den Kopf. »Er meint Stillen.«
    Grandma starrt sie an. »Du willst doch nicht etwa sagen, dass du ihn immer noch …«
    »Es gab keinen Grund, damit aufzuhören.«
    »Na schön, wenn man so eingepfercht ist, dann ist wahrscheinlich alles … aber trotzdem, fünf Jahre …«
    »Du hast doch keine blasse Ahnung.«
    Grandmas Gesicht ist ganz nach unten gequetscht. »Mangelndes Interesse kann man mir ja wohl nicht vorwerfen.«
    »Mom …«
    Stiefpa steht auf. »Ich glaube, die brauchen erst mal ein bisschen Ruhe.«
    »Hast wohl recht«, sagt Grandma. »Na dann, bis morgen …«
    Ma liest mir wieder Der freigiebige Baum und Der Lorax vor, aber leise, weil ihr der Hals wehtut und der Kopf auch. Ich kriege was, ich kriege sogar viel, anstatt Abendessen, Ma schläft mittendrin ein. Es gefällt mir, wenn ich ihr Gesicht angucken kann, ohne dass sie es weiß.
    Ich finde eine zusammengefaltete Zeitung, die muss der Besuch mitgebringt haben. Ganz vorne ist ein Bild von einer Brücke, die in zwei Teile gebrochen ist, ich weiß nicht, ob das stimmt. Auf der nächsten Seite ist eins von mir und Ma und der Polizei an dem Tag, als sie mich ins Revier getragen hat. Da steht: HOFFNUNG FÜR BONSAI-JUNGEN . Ich brauche eine Weile, bis ich alle Wörter herausgefindet habe.
    »›Wunder-Jack‹ nennen ihn die Angestellten der exklusiven Cumberland-Klinik, die allesamt ihr Herz an den heldenhaften Däumling verloren haben, der am Samstagabend in einer schönen neuen Welt aufgewacht ist. Der gespenstisch blasse langhaarige kleine Prinz ist das Resultat regelmäßigen Missbrauchs seiner wunderschönen jungen Mutter durch das Gartenschuppen-Monster (das nach einer dramatischen Verfolgungsjagd um zwei Uhr nachts von den State Troopers gefasst wurde). Jack findet alles ›nett‹ und liebt Ostereier, steigt aber Treppen immer noch wie ein Affe auf allen vieren hinauf und hinab. Der Fünfjährige war sein ganzes bisheriges Leben in ein heruntergekommenes, mit Kork ausgekleidetes Verlies gesperrt gewesen. Noch können die Experten nicht vorhersagen, wie schwer und in welcher Form dadurch auf lange Sicht seine Entwicklung gestört …«
    Ma ist aufgewacht, sie nimmt mir die Zeitung aus der Hand. »Wie wäre es mit deinem Peter-Hase -Buch?«
    »Aber das da bin ich, der Bonsai-Junge.«
    »Der Was-Junge?« Sie guckt wieder auf die Zeitung und schiebt sich die Haare aus dem Gesicht, dann stöhnt sie irgendwie.
    »Was ist Bonsai?«
    »Ein ganz kleiner Baum. Die haben die Leute drinnen in Töpfen und beschneiden sie jeden Tag, damit sie schön knorrig bleiben.«
    Ich denke an Pflanze. Wir haben ihn nie beschneidet, wir haben ihn so wachsen lassen, wie er wollte, aber anstatt ist er gestorben. »Ich bin kein Baum, ich bin ein Junge.«
    »Das ist nur ein sprachliches Bild.« Sie knüllt die Zeitung in den Müll.
    »Hier steht, ich bin gespenstisch blass, aber ich bin doch gar kein Gespenst.«
    »Die Pappnasen von

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