Raumkapitän Sun Tarin
abhielt. Ein Gefühl, das er letztlich nicht erklären konnte …
Wenn einer der Kolosse fiel, schien das die Herde nicht weiter zu beeinflussen. Es gab keine Panik, keine Abwehrhandlungen – nichts dergleichen.
Waren diese Giganten so stumpfsinnig, dass sie gar nicht mitbekamen, was mit anderen Herdenmitgliedern geschah?
Irdische Rinder und Schweine waren da anscheinend klüger, denn sie wussten oft bereits anhand der Umstände, dass ihnen die Schlachtung bevorstand.
Manchmal war Beltran schon der Gedanke gekommen, dass sie sich freiwillig schlachten ließen. Ein absurder Gedanke , ging es ihm durch den Kopf, während er zusammen mit Ndonga ein paar Knochen aufsammelte.
Ob die Analysen wirklich etwas brachten, musste man abwarten.
Und wenn dieser Gedanke doch gar nicht so absurd ist? Hat die Tatsache, dass die Riesenvögel keine natürlichen Feinde haben, vielleicht dafür gesorgt, dass sie nach vielen Generationen den Selbsterhaltungstrieb verloren haben?
Auf dem Rückflug unterhielt er sich mit Ndonga darüber.
»Wenn wir Krieg und den Gebrauch von Werkzeugen als Merkmale von Intelligenz betrachten, wieso nicht eigentlich auch den Selbstmord?«, fragte Ndonga schließlich einfach so in eine Pause der Stille hinein, nachdem ihm Beltran noch einmal seine Hypothesen erläutert hatte.
»Wie meinen Sie das denn, Ndonga?«
»Genau so, wie ich sage. Der Selbstmord widerspricht jeglichen angeborenen Instinkten. Und die Fähigkeit, sich über diese angeborenen Instinkte in einem gewissen Maß hinwegzusetzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, spricht für eine bewusste Steuerung. Und das wiederum würde sich doch auch mit einer Reihe von weiteren Beobachtungen decken, die Sie auch schon gemacht haben …«
»Ich weiß nicht …«
»Es wurde nach allem Möglichen gesucht, aber nicht danach, ob die Tiere vielleicht ihren Tod selbst verursacht haben könnten. Mit voller Absicht.«
»Und weshalb sollten sie das tun?«
»Bin ich der Wissenschaftler oder Sie? Finden Sie es heraus!«
Selbstmord als Ausweis von Intelligenz und Bewusstsein! Auf diesen Gedanken konnte man wahrscheinlich nur kommen, wenn man nicht durch die Dogmen einer Fachwissenschaft blockiert war.
»Ihr Gedanke ist zumindest originell«, sagte Beltran.
»Originell heißt wohl, er taugt nichts«, erwiderte Ndonga.
»Originell heißt einfach nur originell, Mister Ndonga. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
Zwei Wochen später (man rechnete inzwischen nicht mehr trotzig in Erdwochen, Erdtagen, Erdstunden etc., wie man es in den ersten zwei bis drei Jahren auf Second Earth getan hatte) befand sich Beltran zusammen mit den beiden Wissenschaftlern Angelina Brodie und Hans Trenton in einem Rechenzentrum, das aus dem ehemaligen Bordrechner eines EXODUS-Raumers hervorgegangen war.
Außerdem war noch Goran Beauchamps anwesend. Er hatte auf der Brücke der EXODUS-22 als Kommunikationsoffizier gedient und unterstützte Beltran seit Langem dabei, die Lautäußerungen der Riesenvögel aufzuzeichnen, zu archivieren und in ihrer kommunikativen Bedeutung zu untersuchen.
»Die Bedeutungen von gut 20 verschiedenen Lautäußerungen der Riesenvögel konnten wir inzwischen identifizieren und bestimmten Handlungen zuordnen«, sagte Beauchamps. »Dass es Laute gibt, die das einzelne Individuum kennzeichnen, ist ebenfalls so gut wie gesichert …
Kombinationen von Lauten, die neue Bedeutungsinhalte vermitteln, sind aber bisher weiterhin nicht belegt. Auch das neue Material, das Sie mir geliefert haben, Beltran, bietet dafür keinerlei Anhaltspunkte.«
»Damit haben wir ein Kommunikationsniveau, das dem von Orcawalen ähnelt«, stellte Angelina Brodie fest.
»Und der Verzehr von Walen ist seit Langem verboten«, ergänzte Hans Trenton.
»Ja, aber nicht, weil man ihre kommunikativen Fähigkeiten schon für Intelligenz oder gar Bewusstsein gehalten hätte«, gab Beauchamps zu bedenken. »Sondern, weil man Wale vor dem Aussterben bewahren wollte …«
Beltran schwieg zunächst dazu.
Er stand vor einem der Displays, arbeitete sich durch das Menü des Touchscreens und ließ sich die Daten anzeigen.
»Sie ordnen einzelnen Lauten konkrete Wortbedeutungen zu und versuchen, aus Sequenzen von Lauten komplexere syntaktische Zusammenhänge zu erschließen …«, stellte Beltran fest.
»Um ehrlich zu sein – nicht ich versuche das, sondern ich überlasse das weitgehend dem Rechner«, erklärte Beauchamps. »Ich selbst habe erst ganz am
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