Raumschiff 3 - Tia
Pause.
»Schau dir mal diesen glatten Teil auf jeder Seite an – immer an der gleichen Stelle am Rand. Ich wette, das ist irgendeine Art von Speichermedium, wie ein Dataeder – vielleicht ein optischer Speicher…«
»Laß mich mal schauen«, verlangte sie. »Bring es ins Labor.«
Nun hatte sie etwas, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Und das sie von ihm ablenkte.
Alex hatte nichts mehr zu tun, als zu lesen oder
nachzudenken. Während Tia sich mit allen verfügbaren Mitteln dem Artefakt widmete, blieb ihm nur, auf die Schirme zu starren und darauf zu hoffen, daß die Piraten nicht auf die Idee kamen, nach großen Massen Metall unter der Schneedecke
Ausschau zu halten.
Nach einer Weile wurde ihm das Lesen zu langweilig; Musik kam nicht in Frage, weil sie sich orten ließ, selbst wenn er Kopfhörer trug, die er ohnehin verabscheute.
Unterhaltungsholos hatten ihm nie zugesagt, und außerdem machten sie mindestens so viel Lärm wie Musik.
So blieb Alex allein in der Dunkelheit mit seinen Gedanken zurück, die sich immer wieder auf Tia richteten. Ihre Kindheit kannte er inzwischen recht gut. Erst hatte er die öffentlich zugänglichen Daten bemüht und dann das Undenkbare getan: Er hatte Doktor Kennet und Doktor Anna kontaktiert und sie ausgefragt. Nicht allzu subtil, wie er befürchtete, aber sie hatten es ihm nicht übelgenommen. Natürlich würde er große Schwierigkeiten bekommen, sollte irgend jemand im KD in Erfahrung bringen, was er getan hatte. Es gab einen häßlichen Namen für sein Gefühl zu Tia.
Fixation.
Nach jenem Versuch, sich im Hafen eine Gefährtin zu
verschaffen, hatte Alex die Frauen in Ruhe gelassen – weil er sich ohnehin immer nur solche aussuchte, die wie Tia
aussahen. Er hatte gedacht, daß es sich nach einer Weile legen würde; daß die Faszination früher oder später verblassen würde, da er sie ohnehin nicht umsetzen konnte.
Und bis dahin, so hatte er sich eingeredet, wäre es doch nur vernünftig, soviel über Tia in Erfahrung zu bringen, wie er nur konnte. Sie war einzigartig: Das älteste Kind, das jemals in eine Schale implantiert wurde. Somit mußte er vorsichtiger sein, denn hier konnten die üblichen Parameter einer Gehirn-Pilot-Beziehung einfach nicht greifen.
Jetzt wußte Alex also, wie sie ausgesehen hatte – und dank der Computerprojektion konnte er ahnen, wie sie ausgesehen hätte, wenn sie sich nicht diese schreckliche Krankheit zugezogen hätte. Ja, sie wäre möglicherweise sogar auf die Akademie gegangen, falls sie es nicht vorgezogen hätte, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. Er wußte soviel über Tia, als wäre sie eine enge Verwandte gewesen – nur daß seine
Gefühle zu ihr alles andere als brüderlicher Natur waren.
Aber er hatte sich eingeredet, daß sie doch brüderlich seien, daß er sich nicht in eine Art Gespenst verliebt hätte, daß alles in Ordnung kommen würde. Und er hatte auch daran geglaubt.
So lange, bis er auf Chria Chance und ihren Kanonier traf.
Er hatte vom ersten Aufleuchten des Schirms an keinen
Zweifel daran gehegt, daß Chria und Neil zusammengehörten.
Das war für jeden offensichtlich, der etwas von Körpersprache verstand, vor allem, wenn er Chria so gut kannte, wie Alex es tat. Und seine Reaktion auf diese Beziehung überraschte ihn selbst.
Neid. Nackter, roher Neid. Keine Eifersucht, denn er
interessierte sich überhaupt nicht für Chria. In gewisser Weise war er froh für sie. Sie war wirklich das arme, reiche kleine Mädchen gewesen – Hochfamilie mit vier sehr biederen
Brüdern und Schwestern, die der Familie noch mehr Ruhm und Geld brachten. Sie war die einzige Rebellin gewesen, die einzige, die mehr wollte als eine gute Stellung, einen Platz in einem Aufsichtsrat und einen Ehemann von hohem
gesellschaftlichen Status. Erst nachdem sie ihnen gedroht hatte, Schande über alle zu bringen, hatte man ihr gestattet, die Akademie unter einem falschen Namen zu besuchen.
Nein, er war wirklich froh für Chria; sie hatte genau die Partner gefunden, nach denen sie sich gesehnt hatte.
Seine eigenen Gefühle für Tia waren so stark, daß er nicht so recht wußte, was er damit anfangen sollte – und so hatte er unbeholfen versucht sie zu überspielen. Glücklicherweise schienen alle Beteiligten seine Gereiztheit seinen Verletzungen zuzuschreiben.
Wenn es doch nur so wäre…
Ich habe mich in jemanden verliebt, den ich nicht berühren, den ich nicht festhalten, dem ich nicht einmal sagen kann, daß ich ihn liebe,
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