Raumschiff 3 - Tia
zu
faulenzen und sich verbotene Holos anzuschauen, gegen das zukünftige Vergnügen ab, den Schlitten die Berge
hinaufsteuern zu dürfen. Den Schlitten zu steuern käme dem Steuern eines Schiffs am nächsten, und das würde sie noch viele lange Jahre lang nicht tun können.
Und wenn Tia ausgerechnet jetzt, da Mum und Dad ihr am
meisten vertrauten, auf die Nase fiele, würden sie sie
wahrscheinlich für immer in die Kuppel einsperren.
»Das ist die Sache nicht wert«, meinte sie seufzend und sprang von ihrem Schemel. Sie runzelte die Stirn, als ihr auffiel, daß das Prickeln in ihren Zehen immer noch nicht verschwunden war. Es war schon heute morgen beim
Aufwachen dagewesen, ebenso gestern und am Tag davor, war aber früher immer bis zum Frühstück abgeklungen.
Na ja, es machte ihr nicht allzu viele Sorgen, und es würde sie auch nicht von ihrem Lateinunterricht ablenken. Wirklich schade.
»Langweilige Sprache«, murmelte sie.
Nun, je schneller sie es hinter sich brachte, um so wohler würde sie sich fühlen, dann könnte sie sich wieder netten logischen Quadraturen widmen.
Das Prickeln war auch bis zum Nachmittag noch nicht
verschwunden, und obwohl sie sich gut fühlte, beschloß Tia, besser mit der KI darüber zu sprechen.
»Sokrates, bitte Medizinmodus aktivieren«, sagte sie und nahm zögernd in der winzigen Lazarettstation Platz. Sie mochte die Lazarettstation eigentlich nicht; dort roch es nach Desinfektionsmittel, und es fehlte sich an wie in einem zu klein geratenen Druckanzug. Die Station hatte ungefähr die Größe einer kleinen Toilette, aber irgendwie hatte man darin das Gefühl, als sei sie noch kleiner. Vielleicht lag es daran, daß es im Inneren dunkel war. Und da sie für Erwachsene gebaut worden war, stimmten die ganzen Proportionen für Tia
natürlich nicht. Um an die Handabdruckmatten zu geraten, mußte sie an den Stuhlrand rutschen, und um die Fußplatten zu erreichen, mußte sie sogar gänzlich vom Sitz steigen. Vor ihr erwachte der Schirm mit einem lächelnden Holo zum Leben, das wohl einen Arzt darstellte. Insgeheim bezweifelte Tia, daß dieser Darsteller jemals mehr mit einem Arzt zu tun gehabt hatte, als einen Einteiler zu tragen. Er sah viel zu – lackiert aus. Viel zu vertrauenswürdig, viel zu attraktiv, viel zu kompetent. Jedesmal, wenn sie mit einem Offiziellen zu tun bekam, der ihr ein Vertraue mir zuzuschreien schien, wurde sie sofort mißtrauisch und vorsichtig. Wahrscheinlich war das Original für diese Holoaufzeichnung ein Schauspieler
gewesen. Vielleicht konnte er ja Erwachsene beruhigen, Tia aber erinnerte er an die Psychos und ihre viel zu herzlichen Begrüßungen und ihre neugierigen Fragen.
»Nun, Tia«, sagte die Stimme der KI – zu der des ›Doktors‹
modifiziert. »Was führt dich hierher?«
»Meine Zehen fühlen sich, als seien sie eingeschlafen«, berichtete sie pflichtbewußt. »Sie kitzeln irgendwie.«
»Ist das alles?« fragte der ›Doktor‹, nachdem die KI den Zugang zu seiner Symptombibliothek geöffnet hatte. »Sind sie kälter als sonst? Leg mal die Hand auf die Handplatte und stell den Fuß auf die Fußplatte, Tia.«
Sie gehorchte, kam sich dabei fast wie eine Artistin vor.
»Nun, der Kreislauf scheint in Ordnung zu sein«, sagte der
›Doktor‹, nachdem die KI Gelegenheit gehabt hatte,
Temperatur und Blutdruck zu messen, deren Daten nun beide im oberen rechten Feld des Schirms erschienen. »Hast du noch andere Symptome?«
»Nein«, erwiderte sie. »Nicht wirklich.« Der ›Doktor‹
erstarrte für einen Augenblick, während die KI alle anderen Messungen durchging, die sie in den vergangenen Tagen an ihr vorgenommen hatte – was sie gegessen hatten und wieviel, was sie getan hatte, ihre Schlafmuster.
Der ›Doktor‹ taute wieder auf. »Manchmal, wenn Kinder
anfangen, sehr schnell zu wachsen, haben sie dabei
merkwürdige körperliche Empfindungen«, meinte die KI. »Vor langer Zeit hat man das ›Wachstumsschmerzen‹ genannt.
Heute wissen wir, daß es daher rührt, daß verschiedene
Gewebearten manchmal unterschiedlich schnell wachsen. Ich glaube, das dürfte wohl auch dein Problem sein, Tia, und ich meine, du solltest dir darüber keine Sorgen machen. Ich werde dir ein paar zusätzliche Vitamine verschreiben, und in wenigen Tagen sollte wieder alles in Ordnung sein.«
»Danke«, sagte Tia höflich und floh, erleichtert darüber, daß sie so ungeschoren davongekommen war.
Und einige Tage später verschwand das prickelnde
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