Raumschiff 4 - Channa
zustoßen, ohne daß ich da bin, würde ich mir das niemals vergeben. Ich muß hier sein, weil Mammi es nicht ist.
Ich liebe Dich.
Seld.
»Oh!« Simeon hielt inne, als er Chaundras Gemütszustand begriff. »Aber haben Sie ihn denn nicht ins…«
»Nein«, antwortete Chaundra mit einer Stimme, in der
keinerlei Gefühl mehr war. »Er stand in der Schlange, schon fast an der Schleuse. Da wurde ich angepiepst – das
allerdringendste Signal. Seld sagte, ich müsse hin. Er hat es verstanden. Wir haben uns umarmt, uns verabschiedet, und dann habe ich ihn dort zurückgelassen.«
Chaundra drehte matt eine Hand um, zu größeren
Anstrengungen war er nicht mehr fähig. »Er war doch schon so gut wie auf dem Schiff. Wie, zum Teufel, konnte das
passieren?«
»Es tut mir leid. Ich kann es mir nur zu gut vorstellen!« teilte Simeon ihm mit. »Ich versuche herauszufinden, wo das
heimtückische kleine Luder ist.« Damit meinte er zwar nicht Seld, erläuterte die Bezeichnung aber nicht weiter. Nach kurzer Pause kehrte er ergebnislos zurück. »Ich kann ihn nicht finden, also muß er gut versteckt sein. Das sollte eigentlich auch schon etwas Trost beinhalten, Chaundra«, fügte er mit sicherer, beruhigender Stimme hinzu. »Wenn ich ihn schon nicht finden kann, gilt das erst recht für unsere erwarteten Besucher. Ich halte weiterhin Ausschau. Darauf dürfen Sie zählen!«
Mit jedem Auge, das mir zur Verfügung steht, fügte Simeon grimmig hinzu. Wie konnte der wohlerzogene, artige Seld nur auf einen von Joats Plänen hereingefallen sein? Und welche Rolle sollte der Junge dabei spielen? Und ich bin an dieser Situation und an Chaundras Herzschmerz schuld. Joat war so lernbegierig gewesen, und er hatte keinen Grund gesehen, ihren Terminalzugang zu den Konstruktionsplänen zu
beschränken.
Jetzt habe ich eine gelehrte Idiotin, die in meiner Station Amok läuft, dachte er verbittert. Zehn Jahre frühreifen Vorsprungs auf dem Gebiet der hochtechnologischen
Ingenieurswissenschaften, aber die Moral einer Fünfjährigen.
Die Selbstsüchtigkeit kleiner Kinder konnte charmant wirken, solange sie nicht die Macht hatten, allzu großen Schaden anzurichten. Bei einem größeren Mädchen liefen die
Möglichkeiten dagegen voll aus dem Ruder.
»Na ja, Seld ist da – irgendwo!« meinte Chaundra schließlich und erholte sich soweit, daß er schreien und vor Zorn rot anlaufen konnte. »Dem Zeitstempel zufolge wurde diese
Nachricht zehn Stunden nach Ablegen seines Schiffs
eingegeben!«
»Ich weiß, ich habe es gesehen. Machen Sie sich keine
Sorgen, Chaundra. Wir werden ihn schon finden.«
»Ich weiß selbst, daß wir ihn finden werden. Mir macht nur Sorgen, daß er sich versteckt! Daß er nicht mehr so sicher ist, wie ich bisher glaubte. Begreifen Sie nicht? Mein Sohn könnte umkommen. Mir rast das Herz vor Sorge.«
Simeon überwachte noch einmal schnell die gesamte Station, diesmal bezog er die von den Evakuierten zurückgelassenen freien Wohnungen mit ein.
»Ich suche immer noch. Es gibt hier so viele Stellen, wo er sich verstecken könnte, daß nicht einmal ich ihn finden kann«, sagte er, um Chaundra zu beruhigen. »Er ist ein großes, starkes Kind, das schon auf sich selbst aufpassen kann.« Genau wie jeder von uns, dachte er. Schließlich hatte niemand auf der Station allzu große Überlebenschancen, doch es hatte keinen Zweck, Chaundra ausgerechnet jetzt daran zu erinnern.
»Nein«, sagte der Arzt mit zusammengebissenen Zähnen, »er ist kein ›großes, starkes Kind‹, und er kann auch nicht für sich selbst sorgen. Er wird niemals stark werden. Die Seuche, die seine Mutter dahingerafft hat, hat bei ihm einen
Nervenschaden zurückgelassen.«
»Nervenschaden?« fragte Simeon ungläubig. Die
Wiederherstellung von Nervengewebe war eine alte
Technologie, die sehr gut verstanden wurde. Ohne sie hätte es keine Hüllenmenschen geben können, denn mit derselben
Technik wurde ihr Nervensystem auch mit der Maschinerie verbunden, die sie am Leben hielt und die andererseits von ihnen befehligt wurde.
Chaundra schüttelte den Kopf. »Ich habe getan, was ich konnte, um den Schaden per Bypass zu entschärfen, aber wenn er die reparierte Stelle zu stark belastet…« Seine Stimme verstummte, und als er sein Gesicht wieder zu Simeons
Optiksensor hob, hatte er sich in einen alten Mann verwandelt.
»Es war eine kleine Klinik, müssen Sie wissen. Mary war die Medizinaltechnikerin, ich der Arzt. Ein neuer Kontinent auf einer
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