Raumschiff 4 - Channa
sein könnte, seinen winzigen Verstand zu verlieren.
Und das hält er wahrscheinlich noch für äußerst interessant, daß der Stationscomputer seine Funktionsfähigkeit einbüßen könnte, dachte Simeon empört. Kinder!
Es war ihm aufgefallen, daß Joat zwar seine Stimme gut im Griff hatte, daß seine Miene aber seine wirklichen Gefühle verrieten. Simeon fragte sich, ob es ihm wohl gelingen würde, diese Zweiteilung auch in Gegenwart der optisch Bevorzugten aufrechtzuhalten. Nicht daß er, Simeon, in irgendeiner Weise visuell benachteiligt gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, wie Joat schon früh genug feststellen würde. »Joat, ich glaube, es wird Zeit, daß du diese Vorstellung etwas revidierst. Es gibt hier jemanden, den ich dir gern vorstellen würde. Sie ist meine mobile Partnerin.« Was wenigstens in gewissem Sinne ja auch stimmt, berichtigte Simeon sich stumm.
Joat blickte argwöhnisch drein. »Ich will aber niemanden kennenlernen«, murmelte er mürrisch und blickte sich wachsam um. »Eine Sie, hast du gesagt?« Wieder eine Pause.
»Nein, ich will überhaupt niemanden kennenlernen.«
»Aber wir sind uns doch gewissermaßen schon begegnet«, rief Channa.
Sofort war Joat verschwunden.
»Er ist fort«, sagte Simeon.
»Nein, ist er nicht«, widersprach Channa. »Er ist ganz in der Nähe. Joat? Simeon ist wirklich ein richtiger Mensch, genauso wirklich wie du oder ich. Aber er ist auch auf eine Weise mit der Station verbunden, daß die Station eine Erweiterung seines Körpers darstellt. Ich will es dir gern erklären.«
Keine Antwort, aber eine Empfänglichkeit, die sie jenseits ihres schmalen Zugangsschachts fast körperlich spüren konnte.
»Nun«, fing sie an, »Hüllenmenschen wurden erschaffen, um den Behinderten ein Leben zu ermöglichen, das so normal war, wie es nur ging. Zu Anfang beschränkte es sich auf miniaturisierte Zungen oder digitale Kontrollen oder
Körperprothesen. Später wurden diese Geräte
weiterentwickelt, bis sie den gesamten Körper aufnehmen konnten, obwohl manche Leute immer noch glauben, daß es nur das Gehirn eines Menschen sei – weil man sie eben als ›Gehirne‹ bezeichnet. Aber trotz solcher gängigen Märchen ist eine solche Unmenschlichkeit nicht erlaubt. Simeon ist schon da, sein Körper, sein Verstand und…« Sie hielt inne, und ihr wurde klar, daß sie es nicht zulassen durfte, ihre Erklärung von persönlichen Gefühlen entwerten zu lassen. »… und sein Herz.
Simeon ist ein echter Mensch, komplett mit natürlichem Körper, aber er ist auch diese Stationsstadt in dem Sinne, daß er, anstatt in ihr umherzugehen, Sensoren besitzt, die Informationen für ihn sammeln, und er kontrolliert sämtliche Funktionen der Station aus seiner eigenen Zentrale.«
»Wo ist…« Auch Joat hielt inne, versuchte, das Ganze zu verstehen. »… er? Es ist doch ein Er, nicht wahr?«
»Ich bin ebenso männlich wie du«, erwiderte Simeon, der an solche Erklärungen gewöhnt war, aber seine eigene Menschlichkeit betont wissen wollte. Er merkte erst gar nicht, daß seine Stimme inzwischen noch unter die Baritonstufe gefallen war, die er normalerweise verwendete. Warum auch nicht?
»Oh!«
»Anstatt Untergebenen Befehle erteilen zu müssen«, fuhr Channa fort, »beispielsweise, um die lebenserhaltenden Systeme zu überprüfen, oder die Luftschleuse 40, oder um einen Probealarm anzuordnen, kann er das selber sehr viel schneller und gründlicher machen, als es jeder unabhängig mobile Mensch vermag.«
»Und ich brauche auch keinen Schlaf, deshalb kann ich rund um die Uhr Dienst tun.« Simeon konnte es sich nicht verkneifen, dies noch hinzuzufügen.
»Du brauchst überhaupt keinen Schlaf?« Joat war entweder entsetzt oder von Ehrfurcht erfüllt.
»Ich brauche keine Ruhepausen, obwohl ich mich durchaus gern entspanne und auch ein Hobby habe…«
»Jetzt nicht, Simeon, obwohl…« Und in Channas Stimme
schwang ein Lächeln mit. »… ich zugebe, daß Sie das
menschlicher macht.«
»Warst du denn ein Mensch… Ich meine, warst du… hast du so gelebt wie wir alle?« wollte Joat wissen.
»Ich bin ein Mensch, kein Mutant und auch kein Humanoide, Joat«, erwiderte Simeon beruhigend. »Aber als ich geboren wurde, ist mir etwas zugestoßen, so daß ich niemals hätte gehen und sprechen oder auch nur allzulange leben können, wenn die Technik der Verschalung nicht erfunden worden wäre. Meistens werden Babys zu Hüllenpersonen gemacht.
Wir sind psychologisch besser an unsere Situation
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