Raumschiff 5 - Carialle
der Herrscher. Da gelangte Brannel zu einem merkwürdigen Schluß: Dieser Mann war gar kein Gebieter. Er konnte weder die Sprache sprechen, noch trug er Kleidung, wie sie einer der Herrscher getragen hätte; er verhielt sich nicht wie ein solcher, und war ganz eindeutig nicht aus den hochgelegenen Orten im Osten gekommen. Die Neugier des Landarbeiters steigerte sich, und schließlich konnte er die Frage nicht länger zurückhalten.
»Wer bist du?« fragte er.
Alteis packte ihn an der Krause und riß ihn in die Menge der entsetzten Arbeiter zurück.
»Wie kannst du es wagen, in einem solchen Ton mit einem Gebieter zu reden, du junger Welpe?« sagte er knurrend.
»Halte den Blick gesenkt und den Mund geschlossen!«
»Er ist kein Gebieter, Alteis«, erwiderte Brannel und wurde sich seiner Sache von Augenblick zu Augenblick sicherer.
»Unsinn«, warf Fralim ein und schloß die Hand schmerzhaft um Brannels Oberarm. Alteis’ Sohn war größer und stärker als der Vater, dafür aber äußerst dumm. Er ragte vor Brannel in die Höhe und zeigte ihm die Zähne, doch Brannel wußte, daß diese Wildheit zum überwiegenden teil von seiner Furcht herrührte. »Er hat schließlich alle Finger, nicht wahr? Der Finger der Herrschaft ist ihm nicht abgenommen worden. Er kann die Kraftgegenstände benutzen. Ich bitte um Vergebung, geehrter Gebieter«, sagte Fralim in unterwürfigem Tonfall zu dem Fremden.
»Er spricht unsere Sprache nicht, Fralim«, erklärte Brannel mit deutlicher Stimme. »Und ebensowenig die Sprache der Zauberer. Alle Zauberer sprechen die Linga Esoterka, die ich verstehen kann. Ich werde es beweisen – Gebieter«, sagte er zu Keff in der Zauberersprache, »was ist dein Begehr?«
Der Fremde lächelte freundlich und sagte wieder etwas, wobei er Brannel den Kasten entgegenstreckte.
Das Experiment beeindruckte Brannels Werkgenossen nicht sonderlich. Sie blickten den Neuankömmling voller Ehrfurcht und geistloser Bewunderung an, wie die Herdentiere, denen sie ja auch glichen.
»Keff«, sagte der Fremde, nickte mehrmals und deutete auf sich selbst. Dann schob er Brannel die Hand entgegen. »Und du?«
Die anderen zuckten zusammen. Wenn sich die Finger der Herrschaft auf einen von ihnen richtete, bedeutete das manchmal, daß ihnen göttliche Züchtigung bevorstand.
Brannel versuchte zu überspielen, daß auch er
zusammengezuckt war, doch schien die Geste lediglich eine Bitte um Erläuterung zu vermitteln.
»Brannel«, sagte er, die Hand aufs klopfende Herz gelegt.
Die Antwort entzückte den Fremden, der daraufhin einen Stein aufnahm.
»Unn wattis dasss?« fragte er.
»Stein«, sagte Brannel. Er trat heran, bis er nur noch einen Schritt von dem Gebieter entfernt war. »Was ist das?« fragte er äußerst kühn und streckte die Hand aus, um den Ärmel des Zaubererkittels zu berühren.
»Brannel, nicht!« wimmerte Alteis. »Sonst wirst du sterben, weil du Hand an einen von ihnen gelegt hast!«
Alles ist besser, als sein Leben unter Schwachsinnigen verbringen zu müssen, dachte Brannel angewidert. Doch es folgte kein strafender Blitzstoß. Statt dessen sagte Keff:
»Rmel.«
»Rmel«, wiederholte Brannel und überlegte. Es klang
beinahe wie das richtige Wort. Ozran ist groß! dachte er, erfüllt von Dankbarkeit. Vielleicht war Keff ja doch ein Zauberer, aber einer aus einem weit abgelegenen Teil der Welt.
Sie begannen, Bezeichnungen von Gegenständen
auszutauschen. Keff führte Brannel zu verschiedenen Stellen, wies mit Hand hierhin und dorthin und stellte Fragen. Brannel, den die Sache von Augenblick zu Augenblick mehr
interessierte, nannte ihm die Begriffe und lauschte sorgfältig den fremden Worten, mit denen Keff dieselben Dinge
bezeichnete. Keff entbot Brannel die uneingeschränkte Möglichkeit, Wissen auszutauschen, die Worte eines Zauberers im Gegenzug zu den eigenen zu erfahren. Sprache war Macht, das wußte Brannel, und die Macht war der Schlüssel zur Selbstbestimmung.
Hinter ihnen folgten die Dorfbewohner in einer dicht gedrängten Gruppe. Sie wagten es nicht, näherzutreten, mochten sich aber auch nicht fernhalten, während Brannel die gesamte und offensichtlich freundlich gesinnte
Aufmerksamkeit eines Zauberers für sich beanspruchte. Fralim murmelte vor sich hin. Das hätte für gewöhnlich
Schwierigkeiten bedeuten können; denn Fralim betrachtete sich als Erbe Alteis’, was das Sagen im Dorf betraf. Doch der Scheinzauberer flößte ihm viel zu große Ehrfurcht ein, und außerdem
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