Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
dem Moment, als er die Augen aufschlug, schob sich die schwarze Silhouette eines breitschultrigen Körpers vor die Birne des Punktstrahlers und dämpfte die unangenehme Helligkeit ein wenig ab. Jetzt erkannte er auch, was jenen Druck auf ihn ausübte, den er für das Gewicht mehrerer Meter dicker Wassermassen gehalten hatte.
Direkt über ihm stand ein Mann. Und dieser Mann hatte den Fuß auf seine Brust gestellt.
»Jetzt hat er die Augen wieder auf«, sagte die hoch aufragende Gestalt, die von Ravens Blickpunkt aus seltsam verzerrt wirkte. Der Privatdetektiv erkannte sie als den Mann, der ihn am Hauptportal von Hillcrest Manor mit der Pistole bedroht hatte und daraufhin von ihm ins Reich der Träume befördert worden war. Der kann es nicht gewesen sein, der auf Janice geschossen hat, dachte Raven.
»Ich hab dir ja schon gesagt, das ist ein zäher Bursche«, meinte der andere von der Lampe her. Auch jetzt, da er klarer bei Bewusstsein war, fand Raven immer noch, dass die Stimme dieses zweiten Mannes so gepresst klang, als stehe er unter einer ungeheuren innerlichen Anspannung. Spielten wohl seine Nerven nicht mehr mit, weil ihr Coup so ganz anders verlaufen war, als sie es sich ursprünglich vorgestellt hatten? Oder gab es noch einen anderen Grund für den gestressten Eindruck, den er machte? Raven beschloss, darüber später weiter nachzudenken. Vorerst wollte er nur beobachten - Schwachstellen finden, in die er Keile treiben konnte, wenn es soweit war.
Und wenn er überhaupt lange genug lebte.
Der Mann vor der Lampe machte einen Schritt auf Raven zu, und der Blick des Privatdetektivs fiel auf den länglichen, metallisch blitzenden Gegenstand in der Armbeuge des Gangsters. Der Klumpen aus Wut und Hass in Ravens Magen zog sich noch enger zusammen. Das, was da dicht vor seinem Gesicht wippte, war ganz unzweifelhaft eine Maschinenpistole, und sie war noch vor wenigen Minuten abgefeuert worden. Der scharfe, frische Geruch von Pulver und heißem Metall stach deutlich in Ravens Nase.
Der Mann da war Janice' Mörder, daran konnte es für ihn keinen Zweifel geben.
»Na, dann wollen wir doch mal schauen, wen wir da eigentlich haben«, sagte der Killer langsam. »Nimm den Fuß von ihm runter und durchsuche ihn, Spider.«
Der andere Mann - Spider - gehorchte ein wenig widerwillig und kniete sich neben Raven nieder. Mit geschickter, flinker Hand, die seinem Namen alle Ehre machte, tastete er in den Innentaschen von Ravens Jackett herum. Einen Augenblick lang wunderte sich der Privatdetektiv, warum ihn die Gangster nicht schon eher gefilzt hatten, aber dann kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht doch nicht so lange bewusstlos gewesen war, wie er geglaubt hatte, und die beiden Bankräuber auch so genug zu tun gehabt hatten. Sie hatten zum Beispiel Janice' Leiche und den Maserati fortschaffen und die Blutspuren auf dem Hof beseitigen müssen.
Seltsam, dass diese Vorstellung im Augenblick nicht einmal weh tat. Der wirkliche Schmerz, das Gefühl des Amputiertseins, würde wohl erst später kommen, wenn Wut und Hass vergangen waren und nur noch jene grenzenlose Leere übrig blieb, die der Tod Janice' hinterlassen hatte ...
»Keine Ausweispapiere, Jazz«, sagte der Mann mit den geschickten Fingern. So hieß Janice' Mörder also: Jazz.
Raven versuchte die Stirn zu runzeln, aber seine Gesichtsmuskeln schienen ihm nicht gehorchen zu wollen. Wieso hatte Spider keine Papiere bei ihm gefunden, wo er sich doch genau erinnerte, sie nach der Kontrolle durch den Konstabler wieder eingesteckt zu haben? Hatte er sie vielleicht während des Kampfes draußen in der Halle verloren?
Der Mann, der Spider genannt wurde, schien zu dem gleichen Schluss gelangt zu sein. »Ich glaube, ich gehe mal raus und sehe nach, ob sie da irgendwo liegen«, meinte er zögernd, stand auf und wandte sich zum Gehen.
Aber Jazz hob die Maschinenpistole und drückte ihm leicht den Lauf der entsicherten Waffe gegen die Brust. Raven schaute noch einmal hin, weil er seinen Augen nicht zu trauen glaubte. Tatsächlich, der Sicherungshebel war nicht umgelegt! Jazz lief die ganze Zeit mit einer schussbereiten MPi durch die Gegend!
Und dabei war er so nervös, dass ihm ständig leicht die Hände zitterten. Das konnte ja heiter werden - und vor allen Dingen: lebensgefährlich.
»Du bleibst schön hier«, widersprach Jazz seinem Kumpanen. »Wozu brauchen wir Papiere? Er kann uns doch auch selber sagen, wie er heißt, nicht wahr, mein Freund?« Bei diesen Worten ließ
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