Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
ehemaligen Fundamenten der riesigen Quader zeugten. Aber selbst jetzt, nach all den Jahrtausenden, wirkte die Anlage noch beeindruckend.
    Die Blöcke mussten Tonnen wiegen, und Betty hatte sich oft und vergeblich gefragt, wie es die Erbauer Stonehenges, deren Kultur kaum über der der Steinzeitmenschen gelegen haben konnte, wohl bewerkstelligt hatten, die monolithischen Blöcke über Dutzende von Meilen hierher zu schaffen und aufzurichten.
    »Sie glauben also auch, dass Stonehenge eine Art steinzeitliches Observatorium war«, sagte Barry Lamb plötzlich.
    Betty drehte sich halb um, blinzelte und schlang fröstelnd die Arme um den Oberkörper. Der Wind schien plötzlich kälter geworden zu sein.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie ehrlich. Was wollte dieser Lamb eigentlich? Einen Vortrag über prähistorische Kulturen hätte er billiger und vor allem bequemer irgendwo in London oder irgendeiner x-beliebigen Großstadt haben können. Aber schließlich war es sein Geld, das er zum Fenster hinauswarf.
    »Ich weiß es nicht«, wiederholte sie noch einmal. »Es gibt eine Menge verschiedener Theorien über Stonehenge.«
    Lamb nickte. »Ich weiß«, murmelte er, ohne Betty anzusehen. »Manche glauben, es wäre eine Art Tempel gewesen. Andere wieder denken, Beweise dafür gefunden zu haben, dass es eine Anlage zur Beobachtung der Sterne und der Sonne war ...« Er schüttelte den Kopf, lächelte und sah Betty an. Der Ausdruck auf seinem Gesicht gefiel ihr gar nicht. »Viele Theorien, Mädchen, und eine so falsch wie die andere.«
    Das beklemmende Gefühl, das sich Bettys bemächtigt hatte, verwandelte sich langsam in Zorn.
    »Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen erlaubt zu haben, mich ›Mädchen‹ zu nennen«, sagte sie mit einer Aggressivität, die sie fast selbst überraschte.
    Aber Lamb schien ihr den rüden Ton nicht übel zu nehmen. »Kommen Sie, Betty«, sagte er freundlich. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Betty zögerte, aber Lamb war bereits vorausgegangen, hatte den dritten, halb erhaltenen Steinwall durchschritten und befand sich jetzt zwischen den Steinquadern des inneren Kreises. Seine Silhouette zeichnete sich schwarz zwischen den mächtigen Blöcken ab, und für einen winzigen Moment erschien sie Betty kaum noch menschlich, sondern auf groteske Weise verzerrt und Grauen erregend.
    Aber der Eindruck verschwand so rasch, wie er gekommen war, und Betty beeilte sich, hinter ihm herzueilen und in den inneren, vielleicht dreißig Meter durchmessenden Kreis des Heiligtums zu treten.
    Genau im Zentrum des Platzes stand ein schwarzer Altar aus poliertem Basalt. Geheimnisvolle Linien und Striche waren in seine Oberfläche eingraviert, Runen einer Schrift, die zusammen mit dem Volk, die sie geschaffen hatten, gestorben war und die sich bis heute jedem Versuch, sie zu entziffern, widersetzt hatten.
    »Nun?«, sagte sie. »Was wollten Sie mir zeigen, Mr. Lamb?« Sie gab sich Mühe, ihrer Stimme einen festen und ruhigen Klang zu verleihen, aber es gelang ihr nicht vollkommen.
    »Ich heiße nicht Barry Lamb«, sagte der Mann sanft. »Mein Name ist Barlaam - ›der unter dem Joch‹.«
    Mehr noch als diese mysteriösen Worte selbst war es die Betonung, mit der er diese Worte hervorstieß, die Betty zusammenfahren ließ. Sie drehte sich um, trat einen Schritt auf Barry Lamb - Barlaam? - zu ...
    ... und prallte entsetzt zurück!
    Das war nicht mehr der schlanke, dunkelhäutige Mann, der sie hierher begleitet hatte! Es war - das Ding zwischen den Felsen! Der bizarre Schatten, den sie für Bruchteile von Sekunden gesehen hatte! Kein Mensch, sondern ein riesiges ... Etwas, das sie aus kleinen, funkelnden Blutaugen anstarrte und krallenbewehrte Fledermausflügel in ihre Richtung ausstreckte!
    Sie wollte schreien, aber das Grauen schnürte ihr die Kehle zu, sodass sie nur einen würgenden Laut hervorbrachte. Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund, taumelte zwei, drei Schritte zurück und prallte gegen einen der Monolithen.
    Der Blick ihrer aufgerissenen, ungläubig geweiteten Augen hing wie hypnotisiert an der grauenhaften Erscheinung. Sie keuchte, presste sich verzweifelt gegen den kalten, harten Stein und sah sich verzweifelt nach einem Fluchtweg um.
    »Ja, Betty«, krächzte die Erscheinung, »ich bin hierher gekommen, um dir zu zeigen, welcher Bestimmung Stonehenge wirklich diente. Ihr Menschen habt viele Theorien aufgestellt, aber keine kam der Wahrheit auch nur nahe. Ich bin der wahre Herr von Stonehenge. Ich war es,

Weitere Kostenlose Bücher