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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lange bevor es euch Menschen gab, und ich werde es sein, lange nachdem euer lächerliches Volk vom Antlitz dieser Welt verschwunden ist.«
    »Was - was willst du von mir?«, keuchte Betty.
    Barlaam lachte leise und hässlich, ein Laut, der dem vor Entsetzen gelähmten Mädchen einen eisigen Schauer über den Rücken rieseln ließ.
    »Dich will ich!«, zischte er, und seine behaarten Arme mit den pergamentdünnen, grässlichen Flügeln streckten sich gierig nach Betty aus, ohne sie jedoch zu berühren. »Dich, Menschentochter. Dein Leben - deine Seele!«
    »Aber - warum?« Betty wunderte sich beinahe selbst über die unmenschliche Ruhe, mit der sie die Worte hervorbrachte. Vielleicht hatte das Grauen für sie eine Dimension erreicht, die jedes normale Gefühl unmöglich machte, eine Dimension, die ihr Denken nicht länger mehr erfassen konnte?
    »Warum?« Barlaam lachte erneut und schob sich langsam näher. Ein geisterhafter grüner Schein begann sich innerhalb des steinernen Kreises auszubreiten, Licht, wie es noch keines Menschen Auge erblickt hatte.
    Sein Ursprung war der schwarze Altar in der Mitte des Kreises, und im gleichen Maße, in dem der grüne Schein zunahm, schienen die Linien und Zeichnungen auf der Oberfläche des Blocks zu geheimnisvollem Leben zu erwachen, sich zu winden, zu biegen und zu neuen Mustern zu formen.
    »Was gilt ein Menschenleben vor den Göttern?«, keuchte Barlaam. »Wir waren hier, ehe es euch gab, und unsere Macht war gewaltig. Gewaltiger, als du dir vorzustellen vermagst. Dein Leben bedeutet nichts, weniger als der Schmutz unter meinen Füßen, und doch ist es unendlich wertvoll für mich.«
    Seine Klauen peitschten plötzlich vor, schlangen sich um Bettys Schultern, Hals und Arme und zerrten sie mit unbarmherziger Kraft auf den schwarzen Altar zu.
    »Nein!«, kreischte Betty. »Bitte! Nein!« Verzweifelt versuchte sie, den Griff zu sprengen, aber die behaarten Pranken ließen nicht locker.
    Sie schrie, strampelte mit den Beinen und warf sich wie wild hin und her.
    »Schrei ruhig!«, kicherte Barlaam. »Schrei, wenn du willst. Aber es ist niemand hier, der dir helfen könnte.«
    Mit einem wütenden Ruck legte er sie auf der Oberfläche des schwarzen Basaltblocks ab und trat einen halben Schritt zurück. Sofort versuchte Betty, aufzuspringen, aber es ging nicht. Statt der Klauen der Albtraumkreatur fesselten sie nun die Linien und Striche des Steines auf die Oberfläche des Altars. Wie winzige weiße Schlangen waren sie zum Leben erwacht, aus dem Stein herausgeglitten und hatten sich um ihre Arme und Beine geschlungen.
    »Warum?«, wimmerte Betty. »Lieber Gott, warum? Ich - ich habe niemandem etwas getan, und ...«
    »Schweig!«, herrschte sie der Dämon an. »Du bist ein Mensch, und das allein reicht aus, dein Leben zu vernichten. Wesen wie du waren es, die unsere Herrschaft über diese Welt beendeten, und ein Wesen wie du wird dazu beitragen, diese Welt wieder ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben! Jahrmillionen habe ich auf diesen Tag gewartet, und jetzt - jetzt ist es endlich soweit!«
    Betty verstand kein Wort von dem, was dieser zum Leben erwachte Albtraum sagte, aber Barlaam schien auch gar nicht auf eine Antwort zu warten.
    Seine Stimme zitterte vor Aufregung, als er weitersprach. »Du wirst sterben, Menschenwurm, aber vorher sollst du erfahren, welchen Sinn dein Tod hat. Es gab eine Zeit, da war diese Welt jung und schön, und sie wurde von einem Volk beherrscht, das hart und mächtig war - Wesen, die zum Herrschen geboren waren, nicht solche Weichlinge wie ihr. Sie nannten sich die Thul Saduum, und sie hatten die Erde einem mächtigen Magiergeschlecht abgerungen, den Magiern von Maronar. Aber mit den Äonen wurde unser Volk dekadent und unvorsichtig, und wir unterschätzten die Gefahr, die von den wieder erstarkten Überresten der Magier von Maronar ausging - den Menschen. Wir wurden geschlagen, in einem Krieg, der Jahrtausende dauerte und eure und unsere Rassen fast zur Gänze auslöschten. Nur wenige Menschen überlebten, doch auch das nicht für lange, und noch viel weniger von uns überlebten, aber sie waren gefangen, gefangen in der ewigen Finsternis und Einsamkeit des Erdinnern. Aber sie leben, Mensch, sie leben und warten, warten auf den Tag der Rache, den Tag, an dem die Gestirne günstig stehen und der uralte Bann gebrochen werden kann. Eine solche Konstellation ergibt sich nur in sehr unregelmäßigen Abständen, aber jetzt, Mensch, in wenigen Tagen

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