Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Hände starrte, flog wieder ein hässliches, dünnes Lächeln über seine Züge, und seine Finger fuhren in einer unbewussten Bewegung über den Stein und folgten den darin eingravierten Linien.
«Eure Zeit ist abgelaufen«, fuhr er fort. »Eure und die der gesamten Menschheit, wenn sie so dumm sein sollte, sich gegen unseren Willen zu stellen. In wenigen Augenblicken werden die Sterne endlich in der richtigen Konstellation stehen, und die wahren Herren dieses Planeten werden vor euch treten. Und es ist gut, dass es bei dieser Konjunktion geschieht, den obgleich ihr nur Gewürm seid, so wart ihr doch dabei, gefährlich stark zu werden. Ich hätte nicht gewagt, noch einmal vier Jahrtausende zu warten.«
»Vielleicht sind wir jetzt schon zu stark für euch«, sagte Jeff ruhig.
Barlaams Augen flammten hasserfüllt auf.
»Schweig!«, zischte er. »Sonst ...«
»Was - sonst?«, fragte Jeff. »Du kannst mir nichts tun, Barlaam. Du selbst hast mir gesagt, dass du mich brauchst. Lebend. Töte mich, wie du Ascalon getötet hast, und dein Volk wird auf ewig verbannt bleiben.«
Barlaams Gesicht verzerrte sich vor ohnmächtigem Hass. Aber er hatte sich rasch wieder in der Gewalt.
»Du irrst dich, Jeff Target«, sagte er kalt. »Ich kann dich nicht TÖTEN, das ist wahr, aber es gibt andere Möglichkeiten, dich gefügig zu machen.«
Er brach ab, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zu den Sternen empor, die nur blass hinter der grünen Kuppel aus Licht sichtbar waren.
»Der rechte Augenblick ist da«, sagte er dann.
Das grüne Leuchten erlosch, aber dafür glomm ein anderes, unwirkliches Licht auf.
Jeff fuhr erstaunt herum. Der Mond stand annähernd senkrecht über ihnen, aber es war nicht nur sein Licht, das auf den schwarzen Altar fiel. Jeff Target erkannte plötzlich, dass die Historiker wenigstens zum Teil Recht gehabt hatten. Stonehenge war eine Anlage zur Bestimmung von Sternbildern, aber das diente einem ganz, ganz anderen Zweck, als sich alle Wissenschaftler der Welt hätten träumen lassen.
Der Himmel über ihnen war plötzlich wolkenlos, und das kalte Licht der Sterne brach durch die Lücken zwischen den Steinblöcken. Jedes Tor, jeder der zahlreichen Zwischenräume des Steinkreises, markierte ein anderes Sternbild, eine andere, ganz bestimmte Konstellation fremder Sonnen. Der große Wagen leuchtete durch eine Lücke im Westen, Cassiopeia und der Kleine Bär durch andere Tore, daneben die Andromeda - Dutzende von Sternbildern, deren Licht durch die Anordnung der Steinblöcke gebündelt und konzentriert wurde.
Der schwarze Altar begann in einem unwirklichen Licht zu gleißen. Jeff schloss geblendet die Augen, aber die Glut drang selbst durch seine geschlossenen Lider und ließ ihn aufstöhnen.
»Es ist soweit!«, triumphierte Barlaam. Seine Stimme klang fern und unwirklich. »Jetzt endlich ist der Tag der Vollendung gekommen!«
Irgendetwas Unsichtbares, Fremdes schien nach Jeffs Gedanken zu greifen. Er stöhnte auf und versuchte, sich gegen den fremden Einfluss zu stemmen, aber sein Willen wurde hinweggespült wie ein dürrer Ast in einer Sturmflut.
Ohne sein Zutun setzten sich seine Beine in Bewegung und trugen ihn auf den schwarzen Altar zu ...
»Komm, Jeff!«, keuchte Barlaam. »Komm her und gehorche!«
Jedes Wort war ein Befehl, ein Hammerschlag, der seinen Willen zertrümmerte und ihn zu einer hilflosen Marionette werden ließ. Er trat dicht an den Felsblock heran, legte die Handflächen auf den glatten Stein und stöhnte gequält.
Raven stand erstarrt und reglos daneben und beobachtete die Szene aus entsetzt aufgerissenen Augen. Aber offensichtlich stand auch er unter Barlaams geistiger Kontrolle.
Barlaams Hände vollführten eine komplizierte Bewegung, und die Linien auf dem Stein erwachten zu geheimnisvollem Leben. Wie dünne weiße Schlangen begannen sie sich zu winden und zu krümmen, krochen auf das Zentrum des Blocks zu und formierten sich zu Schriftzeichen, Runen einer Sprache, die schon vor Äonen ausgestorben war.
»Lies!«, befahl Barlaam. »Lies es vor. Laut und deutlich. Nur du kannst das Siegel öffnen! Lies!«
Jeff stöhnte erneut. Alles in ihm sträubte sich dagegen, die barbarischen, sinnlosen Worte und Silben auszusprechen, aber gegen den geistigen Würgegriff des Dämons kam er nicht an. Langsam und stockend zuerst, dann immer schneller und flüssiger, begannen seine Lippen Silben und Worte zu formen, Töne, die eine menschliche Stimme kaum hervorzubringen in der Lage
Weitere Kostenlose Bücher