Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
Wagen und fahren gemeinsam hinaus nach Stonehenge.«
Raven drehte sich halb zu ihm um. »Ich glaube, da haben Sie etwas gründlich missverstanden«, sagte er vorsichtig. »Target und ich fahren allein. Sie bleiben hier.«
Der kugelrunde kleine Inspektor starrte ihn mit einem Ausdruck perfekten Unglaubens auf seinem Schweinsgesicht an. In seinen roten, ein wenig glasigen Augen flammte ein Funke auf, den Raven nur allzu gut kannte. Aber bevor Card noch zu einer geharnischten Erwiderung ansetzen konnte, beugte sich Jeff Target über den Tisch zu ihm hinüber.
»Raven hat Recht«, erklärte er entschieden. »Es ist durchaus möglich, dass sich Barlaam als stärker erweist als wir. Die Chancen stehen, würde ich meinen, fünfzig zu fünfzig. Wenn er uns alle drei umbringt, gibt es mit einem Schlage niemanden mehr auf diesem Planeten, der um die ungeheuerliche Bedrohung der Thul Saduum weiß. Werden aber nur Raven und ich getötet, ist immer noch einer da, der den Kampf fortsetzen kann - Sie, Inspektor. Denken Sie bitte mal darüber nach.«
Ein unbehagliches, beinahe feindseliges Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Es schien sich unendlich in die Länge zu ziehen, aber schließlich unterbrach Card es mit einem müde gemurmelten »Okay«.
Raven blickte ihn überrascht von der Seite her an. Card, das spürte er auf einmal mit aller Deutlichkeit, wurde allmählich alt. Er war nicht mehr der Kämpfer, der er noch gewesen war, als sie sich kennenlernten und gemeinsam gegen den dämonischen Schattenreiter antraten. Vielleicht wurde Card allmählich von seinem Beruf aufgezehrt. Vielleicht aber machten ihm ja auch Ereignisse in seinem Privatleben zu schaffen, über das Raven so gut wie nichts wusste. Er hatte den Inspektor nur ein- oder zweimal in seiner kleinen Junggesellenwohnung besucht, und das waren stets nur kurze Besuche gewesen, bevor sie wieder einmal zu einer gefährlichen Aktion irgendwo in London aufbrachen.
Einen Augenblick lang verspürte er das Bedürfnis, Card in einer freundschaftlichen Geste den Arm um die Schultern zu legen, aber dann hielt ihn etwas in seinem Inneren doch davon zurück. Verdammt nochmal, dachte er verbittert. Da stehen wir vielleicht kurz davor, unser Leben zu verlieren, und trotzdem können wir immer noch nicht die Sympathie ausdrücken, die wir füreinander empfinden.
Er rammte die Fäuste in die Hosentaschen, lehnte sich zurück und starrte an Cards Profil vorbei aus dem Fenster hinaus. Das Fenster ging nach Westen, in Richtung Stonehenge. In vielleicht einer halben Stunde würde die Sonne untergehen. Und dann würde die Entscheidung fallen. So oder so.
Aber Raven hatte das Gefühl, dass die Welt hinterher nicht mehr so sein würde, wie sie vorher war.
Tief unter Stonehenge wartete Barlaam im Gewirr der Felsengänge und -kammern und traf seine letzten Vorbereitungen.
Diesmal, das wusste er, würde das Ritual nicht scheitern. Jeff Target würde sich nicht freiwillig dazu hergeben, die ihm zugedachte Rolle zu spielen, gewiss, aber Barlaam hatte seine Mittel, um ihn dazu zu zwingen. Heute war er kühler und beherrschter als damals vor viertausend Jahren, an jenem Tag, da er in einem Anfall von rasender Wut seinen Druiden-Schützling Ascalon niedergestreckt hatte, weil der sich höhnisch weigerte, den allerletzten Schritt zu tun und das schon halb gelöste Siegel endgültig zu erbrechen. Diesmal würde alles wie geplant gelingen, und dann würden die Thul Saduum in all ihrer Macht und Glorie auferstehen und die Herrschaft über die Neue Erde an sich reißen. Und diese Stunde ihres Triumphes würde auch die Stunde des Triumphes für Barlaam sein.
Denn dann war endlich, nach Abermillionen Jahren, der Augenblick gekommen, da die Thul Saduum ihr Versprechen einlösen und ihn endgültig zu einem der Ihren machen würden. Nichts anderes war sein Ziel, sein großer Antrieb gewesen, als er damals, zu Zeiten der Ersten Erde, sein Volk verraten und sich auf die Seite der dämonischen Eindringlinge gestellt hatte.
Schon damals hatte er den Thul Saduum allerlei nützliche Dienste leisten können, und dafür hatten sie ihn zu einem Gestaltwandler-Halbling gemacht - zu einem Wesen, halb Mensch und halb Thul Saduum, das abwechselnd in beiden Körperformen leben und für kurze Zeit auch andere Gestalt annehmen konnte, wenn es ihn danach gelüstete.
Wie ironisch, dass ausgerechnet die Tatsache, dass die Thul Saduum ihn und andere wie ihn nur in den Halblings-Status aufgenommen hatten - dass
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