Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
ausgerechnet diese Tatsache es war, die die mächtigen Dämonen am Ende aus ihrem Gefängnis retten würde!
Denn als man die Thul Saduum in ihre Felsenkerker bannte, hatte man die Gestaltwandler-Halblinge als Verräter an der Ersten Erde gemeinsam mit den Thul Saduum in die Finsternis gesperrt - ohne zu bedenken, dass sie immer noch zugleich auch Menschen waren und der Bann für sie somit nicht uneingeschränkt galt. Zwar konnten sie das magische Siegel nicht lösen - dazu waren sie wiederum schon nicht mehr Mensch genug -, aber es war immerhin möglich, dass die Thul Saduum sie als ihre Vorhut am Siegel vorbei hinaus in die wiedererstandene Welt entsandten, um ihre neuerliche Herrschaft vorzubereiten.
Doch all diese Ereignisse waren längst Vergangenheit. Jetzt zählte nur die Gegenwart, der unmittelbar bevorstehende Augenblick der Wahrheit. Und natürlich die Zukunft, in der er endlich das sein würde, was zu werden er sich durch unendliche Mühen und Anstrengungen erkämpft hatte - ein vollgültiger Thul Saduum.
Seine dunkle Seele frohlockte, als er mit seinen übermenschlichen Sinnen spürte, wie sich Jeff Target dem Ort der Entscheidung näherte: Stonehenge. Zwar kam er nicht allein, doch das hatte weiter keinerlei Bedeutung.
Denn einem Mächtigen wie Barlaam würde auch eine Hundertschaft hilflos gegenüberstehen ...
Raven schlug den Kragen seines Regenmantels hoch und blickte schaudernd in den Himmel. Der Tag war schon kalt gewesen, aber nach Einbruch der Dunkelheit war es im wahrsten Sinne des Wortes eisig geworden. Der Wind brach sich heulend und wimmernd an den Monolithen Stonehenges, und der Mond, der von Zeit zu Zeit hinter den niedrig hängenden, treibenden Wolken sichtbar wurde, verwandelte den Artefakt in eine bizarre Plastik aus Licht und Schatten.
Raven blickte auf die Uhr.
»Halb zwölf«, sagte er leise. »Glaubst du wirklich, dass er heute noch kommt?« Auf ihrer Fahrt hierher hatten sie begonnen, sich zu duzen.
Jeff antwortete nicht sofort. Seit sie in Stonehenge eingetroffen waren, hatte eine seltsam gedrückte Stimmung von ihm Besitz ergriffen. Zuerst hatte er geglaubt, es wäre schlicht und einfach Angst, aber dann war ihm bewusst geworden, was in Wirklichkeit dahintersteckte.
Hier, an diesem Ort und in einer Nacht wie dieser, war Betty gestorben. Und das, was er nun spürte, war nichts anderes als eine grenzenlose Trauer, die er sich bisher nie eingestanden, sondern stets hinter anderen Gefühlen wie Wut und Hass und - ja, auch das! - Mordlust verborgen hatte.
Ravens Husten brachte ihn wieder in die Gegenwart zurück. »Sag mal, sprichst du nicht mehr mit jedem?«, erkundigte sich der Privatdetektiv.
Jeff lächelte verlegen. »Entschuldige. Ich musste nur gerade an etwas vollkommen Verrücktes denken.«
»An zwei erwachsene Männer, die um Mitternacht in einem Heiligtum aus vorchristlicher Zeit Dämonen auflauern?«, konterte Raven in einem Versuch, lustig zu wirken.
»So ungefähr.« Jeff tastete nach seiner Pistole, überprüfte automatisch die Ladung und steckte sie wieder in die Innentasche.
»Eigentlich müsste ich dir das Ding ja wegnehmen«, sagte Raven. »Wenn du in deiner Nervosität versehentlich einen Touristen umlegst, der sich Stonehenge bei Nacht anschauen will, bin ich mit dran. Schließlich ist das meine Knarre.«
»Bedien dich ruhig«, meinte Jeff. »Sie wird mir sowieso nichts nutzen. Gegen Barlaam muss man mit anderen Mitteln kämpfen.«
»Warum hast du sie dann eingesteckt?«
Jeff zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Vielleicht, weil einem das Gewicht einer Waffe ein bestimmtes Gefühl der Sicherheit verleiht. So steht es doch immer in Kriminalromanen, oder?«
Raven grinste flüchtig. »Weiß nicht. Hab keine Zeit, welche zu lesen.« Er seufzte und blickte aus zusammengekniffenen Augen über das Ruinenfeld. Sie hatten sich zwischen den beiden inneren Steinkreisen versteckt, eingekeilt zwischen zwei riesigen, gestürzten Blöcken, die ihnen eine fast vollkommene Deckung boten, zugleich jedoch einen freien Blick über einen Großteil der Anlage gestatteten.
Jeff fiel auf, dass sich unter Ravens Mantel ein länglicher, schmaler Gegenstand abzeichnete. Er wies mit dem Finger darauf und breitete dann in einer fragenden Geste die Hände aus.
Raven zog wortlos eine handliche Maschinenpistole unter dem Mantel hervor, klappte die Schulterstütze heraus und schob ein Magazin in den Griff.
»Die hat mir Card vor unserer Abfahrt aufgedrängt«, meinte er. »Im
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