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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sahen sie fremdartige Landschaften, unerklärliche Objekte, exotisch wirkende Menschen ...
    Während der Lektüre im Flugzeug hatte Raven noch an Scharlatanerie oder Autosuggestion geglaubt. Jetzt, in diesem sich unendlich hinziehenden Augenblick, da der kleine Franzose seinen Amoklauf begann, war er sich da keineswegs mehr so sicher.
    Er erlaubte sich allerdings auch nicht den Luxus, länger über das Wenn und Aber nachzudenken. Mit einem Kampfschrei auf den Lippen hechtete er hinter dem Franzosen her. Er war fantastisch schnell - und kam trotzdem zu spät.
    Noch während er sich abschnellte, klirrte vor ihm Glas. Eine Alarmsirene heulte auf. Der kleine Franzose hatte sich einfach auf die Vitrine geworfen, die er sich als Ziel auserkoren hatte. Die Vitrine stürzte um und zersplitterte.
    Der Amokläufer tauchte in das Durcheinander aus Glasscherben und Ausstellungsstücken. Als er mit einer fließenden Bewegung wieder zum Vorschein kam, blutete er aus unzähligen kleinen und großen Schnittwunden. Spitze Glassplitter steckten in seinem Gesicht und in seinen Händen.
    In der rechten Hand hielt er einen riesigen aztekischen Opferdolch aus funkelndem Obsidian. Nach all den Jahrhunderten war die Schneide noch immer so scharf wie eine Rasierklinge.
    Und sie wies genau auf den heranfedernden Raven.
    Seit seinem ersten albtraumhaften Kampf mit einem der dämonischen, säbelbewehrten Schattenreiter hatte Raven eine tiefe Abneigung gegen jede Art von Schnittwunden. Noch in der Luft wirbelte er deshalb herum und streckte das Bein. Seine Fußspitze war nun genau auf das Handgelenk des Amokläufers gerichtet, und wenn Raven nicht ganz genau gezielt hatte, würde immerhin das Leder seiner Boots die schlimmsten Auswirkungen der Obsidianklinge von seinem Fuß abhalten.
    Der Amokläufer reagierte mit übermenschlicher Geschwindigkeit - kein Wunder, denn sein Blutstrom musste vor Adrenalin nur so kochen. Blitzartig tauchte er seitwärts weg. Ravens Fuß verfehlte ihn um Millimeter.
    Zu einer erneuten Körperdrehung blieb Raven jetzt keine Zeit mehr.
    Auch andere Verteidigungsmaßnahmen kamen im Moment nicht in Frage. In den nächsten Sekundenbruchteilen würde er viel zu sehr damit beschäftigt sein, sich nicht an den ausgezackten Glassplittern der Vitrinenscheiben aufzuspießen - ein Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gab.
    Ein greller, lohender Schmerz durchfuhr Raven, als ihn der Amokläufer mit dem Opferdolch längs des Beins erwischte. Die Klinge ratschte vom Knöchel bis zum Oberschenkel an Ravens Bein entlang, schlitzte Hosenstoff und Haut auf. Bevor Raven auch nur die Zeit fand, sich zu fragen, wie tief der Schnitt wohl sein mochte, krachte er in die Trümmer der Vitrine.
    Glas knirschte unheildrohend. Einen grässlichen Augenblick lang hatte Raven die Befürchtung, nach rückwärts wegzukippen und mit Schultern, Rücken und Gesäß in die steil in die Luft ragenden Scherben zu fallen. Selbst wenn er das überlebte, würde er rücklings hingestreckt daliegen, schwer verletzt vielleicht und unfähig, sich zu wehren, hilflos dem Obsidianmesser des Wahnsinnigen ausgeliefert wie ein Huaxteke auf dem Opferstein der Priester Huitzilopochtlis.
    Dann aber trug ihn sein Schwung doch vorwärts, und er ließ sich abrollen, aus der Reichweite des Messers hinaus.
    Wuchtig prallte er gegen eine Wand und blieb benommen liegen, nach Atem ringend. Vor seinen Augen wallten Schleier ...
    Ferne Schreie drangen an sein Ohr, untermalt vom infernalischen Jaulen der Alarmsirene. Den Kopf in die Hände gestützt, damit er ihm nicht zersprang, zwang er sich auf die Knie. Immer noch halb betäubt, glotzte er hinüber zum Ausgang des Raumes.
    Dort, direkt in der Tür, saß ein Mann auf dem Boden, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Der Mann war ein Kleiderschrank, mindestens einhundertneunzig Zentimeter groß und breitschultrig wie ein Preisringer. Aus einer seiner Preisringerschultern quoll dunkles Blut.
    Neben ihm kauerte ein zweiter Mann, ein elegant gekleidetes Frettchen, das versuchte, den Blutstrom mit einer provisorischen Taschentuchtamponade zu stillen. Er machte das sehr professionell. Vielleicht hatte er gerade einen Erste-Hilfe-Kursus absolviert. Von dem Amokläufer war im Moment nichts mehr zu sehen.
    Raven rappelte sich endgültig hoch und torkelte zur Tür. Das Frettchen hob den Blick und deutete mit dem Kopf in die Richtung, die Raven ohnehin schon eingeschlagen hatte. »Da entlang, Monsieur«, sagte er in einem schauerlichen

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