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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verhören. Und während sie hier in Paris festsaßen, mochten die vier Kristallschädel längst an einem unbekannten Ort der Welt vereint sein und unvorstellbares Unheil anrichten.
    Es war eine Zwickmühle, aus der es kein Entrinnen gab.
    Die beiden Männer, die hinter ihm auf der Rückbank in der Steuerkabine saßen, gefielen dem alten Ole ganz und gar nicht. Wenn er sich selber gegenüber ehrlich sein wollte, waren sie ihm sogar ausgesprochen unheimlich.
    Ole Jensen musste sich mit Gewalt davon abhalten, dauernd über die Schultern nach hinten auf seine seltsamen Passagiere zurückzublicken. Verzweifelt bemühte er sich, seine Aufmerksamkeit ganz auf den Kurs der kleinen Motorjacht zu konzentrieren, aber es wollte ihm nicht recht gelingen - wahrscheinlich, weil es völlig überflüssig war. Schließlich nannte man ihn nicht umsonst den »Schären-Ole!«
    Wenn einer die Schären vor der Einfahrt nach Stockholm wie seine eigene Westentasche kannte, dann er. Er war auf einer Schäre geboren und aufgewachsen und hatte immer auf den Schären gelebt - bis auf einige wenige Jahre, die er auf einem Kahn der schwedischen Handelsmarine gefahren war. Die restliche Zeit seines Lebens hatte er sich auf und zwischen den Schären herumgetrieben - als Krabbenfischer, Lotse, Reiseleiter und Postbote zu Schiff.
    Er traute es sich durchaus zu, mit verbundenen Augen seinen Weg zwischen den 12 000 kleinen und kleinsten Inseln und Felsbrocken zu finden, aus denen sich der weit verzweigte Schärenschwarm zusammensetzt.
    Vor allem die Strecke zwischen dem Stockholmer Jachthafen und Godsby beherrschte er inzwischen wie im Schlaf. Immerhin arbeitete er schon sieben Jahre für den Chef, seit jenem Tag, da dieser sein neues Herrenhaus auf der Insel Godsby bezogen hatte. Fast jeden Tag legte er für ihn diese Route zurück, denn dauernd kamen Gäste in das Herrenhaus, Männer und Frauen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Der alte Ole wechselte zwar nie ein Wort mit ihnen außer God dag! oder Adjö! - er war so wortkarg wie viele alte Seebären -, aber er hatte sich im Laufe seines wechselvollen Lebens eine solide Menschenkenntnis angeeignet, die ihn befähigte, Herkunft und Wesen der Menschen, mit denen er zu tun hatte, meist beim ersten Hinsehen zu erfassen.
    Viele der Leute, die er zwischen Stockholm und Godsby hin- und herbefördern musste, mochte er überhaupt nicht; aalglatte, ein wenig zu modisch gekleidete Geschäftsleute, Frauen, die zu laut lachten und zu viel Make-up aufgelegt hatten, und harte Burschen, deren Maßjacketts sich unter der Achsel beulten. Schären-Ole war in den Häfen der Welt in genug Ärger verwickelt worden, um zu wissen, was das bedeutete.
    Aber der Chef war ein wichtiger Mann, und wichtige Männer müssen sich manchmal mit seltsamen Typen abgeben, das verlangen die Geschäfte. Und außerdem war der Chef eben der Chef, und damit basta. Wahrscheinlich hatte er Schären-Ole außer wegen seiner Fähigkeiten als Bootsführer vor allem deswegen engagiert, weil der keine Fragen stellte und auch ansonsten den Mund hielt.
    Aber die beiden Männer da hinten auf der Rückbank - nun, die waren wieder ganz etwas anderes ...
    Als Ole sie zum ersten Mal im Jachthafen gesehen hatte, hatten sich ihm sofort ganz instinktiv wie bei einem Tier die Nackenhärchen aufgestellt. Mit offenen Mänteln standen sie auf dem Kai, vom eisigen, steifen Seewind gebeutelt, der jetzt im Herbst bis hinein zwischen die Inseln fuhr, auf denen Stockholm errichtet ist.
    Der eine war groß und breit gebaut und trug den Arm in einer schwarzen Schlinge. Der andere hingegen war klein und schmal und stand so verkrümmt da, als habe er unerträglich starke Schmerzen. Sein Gesicht war jedoch völlig leer, ohne jeden deutbaren Ausdruck, und auch der Hüne stierte wie blind in die Spätmittagssonne. Zu ihren Füßen standen zwei billige Plastik-Reisetaschen mit dem Emblem der Air France, wie man sie in jedem Flughafenshop erwerben konnte.
    Ole vermochte den Grund dafür nicht zu benennen, aber von diesen äußerlich so harmlos aussehenden Taschen schien eine unaussprechliche Bedrohung auszugehen. Ein jäher Impuls stieg in ihm auf, das Ruder herumzureißen, den Motor durchzustarten und die Jacht wieder von der Anlegestelle wegzusteuern, aber etwas, eine unsichtbare Kraft, hielt ihn davon zurück. Vielleicht war es ja nur die Angst vor seinem Chef, aber eine innere Stimme schien ihm zu sagen, dass mehr dahinter steckte. Er fröstelte.
    Als Ole

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