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Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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herein ins Herrenhaus von Godsby. Und hinaus ebenfalls nicht.
    Für Menschen oder andere materielle Objekte schließlich war die Barriere vollends unpassierbar. Wer herein wollte, musste schon auf magische Weise hereingeholt werden. Einen anderen Weg gab es nicht.
    Und meist blieb dem Betreffenden nicht einmal Zeit, seinen aberwitzigen Wunsch zu bereuen.
    So wie dem alten Schären-Ole, dessen ausgebluteter Leichnam jetzt zwischen den fünf Zacken des Pentagramms in der Luft schwebte, mit baumelnden Gliedern und schlaff herabhängendem Kopf. Sein Mund war wie zu einem lautlosen Entsetzensschrei weit aufgerissen, und in seinen Augen staken immer noch die bis tief in sein Gehirn gedrungenen, ausgezackten Glassplitter, die seinen Körper getötet hatten. Diese Glasstücke fehlten jetzt in dem mit Hilfe der Maroneser Magie restaurierten Fenstermosaik.
    Unter Oles Leiche auf dem Boden schimmerte dick und geronnen sein Blut. Es formte eine ovale, scharf umgrenzte Lache - einen Blutspiegel. Aber dieser Blutspiegel blieb stumpf, trotz aller magischen Bemühungen. Sören Anderssons Vater in der Tiefe kam nicht, sein Opfer anzunehmen.
    Dabei war es ein gutes Opfer - ein ausgewachsener Mensch. Mit einem beinahe wehmütigen Lächeln erinnerte sich Sören an das erste Opfer, das er jemals dargebracht hatte - einen räudigen, liebeskranken Kater. Vor fast dreißig Jahren war das gewesen, in einer Sommernacht in der Provinz Skåne, wo er damals mit seinen Eltern lebte. O, wie lange war das her! Seit damals hatte er seinem Vater in der Tiefe noch sehr viele Opfer gebracht, zuerst weitere Tiere und später dann auch Menschen.
    Es gab immer genügend unliebsame Elemente - Konkurrenten, Polizeispitzel, Verräter -, die im Auftrag der großen Bosse des Syndikats aus dem Weg zu räumen waren. Das hatte Sören immer gern übernommen, denn dabei konnte er zwei Herren auf einmal zufrieden stellen. Sein Vater war dankbar für das Opfer, und seine Bosse freuten sich, dass die Leute auf der grauen Liste so nachhaltig verschwanden.
    Andere Killer arbeiteten längst nicht so sauber. Bei ihnen tauchten die Kandidaten nach Monaten oder Jahren doch wieder auf, beim Torfanstich, bei Ebbe oder wenn man Betonfundamente sprengte. Eine sehr eklige und lästige Angelegenheit.
    Bei Sören Andersson gab es hingegen keine Moor-, Wasser- oder Betonleichen. Seine Opfer verschwanden wirklich spurlos. Sein Ruf hatte sich so rasch verbreitet, dass er bald Hochkonjunktur als Spitzen-Killer hatte. Der letzte Mensch, den er dann eigenhändig getötet und seinem Vater dargebracht hatte, war der vorige Chef der schwedischen Syndikats-Abteilung gewesen.
    Seither nannte man ihn »Chef«. Und seither ließ er TÖTEN, auch wenn er die Opfer natürlich immer noch selber darbrachte.
    Er hatte in seinem Leben wirklich fast alles erreicht, was er sich je erträumt hatte.
    Nur zwei Dinge nicht.
    Er war nie in der Lage gewesen, seine nächtlichen Albträume einzudämmen, die Visionen der Entkörperlichung seines Alter ego durch die dämonischen Thul Saduum.
    Und es war ihm nie gelungen, ein permanentes Tor zu schaffen, durch das sein Vater und die anderen Wesenheiten in der Tiefe nach der Erde greifen konnten - so, wie sie vor Jahrmilliarden nach Maronar gegriffen hatten.
    Allein war er zu schwach gewesen, viel zu schwach. Erst jetzt, da er mit den vier Kristallschädeln - und vor allem mit dem Meisterschädel, seinem anderen Ich - vereint war, hatte er hoffen können, diese beiden Aufgaben erfolgreich in Angriff zu nehmen.
    Und jetzt, so dicht vor dem Ziel, stellte sich irgendetwas gegen ihn und verwehrte ihm seinen größten Triumph.
    Nein, nicht nur ihm allein. Ihm und den Kristallschädeln.
    Genau wie er waren sie natürlich begierig darauf, denen in der Tiefe den Weg zur Erde zu bereiten. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gab, den störenden Einfluss auszumachen und zu überwinden, dann bestand sie nicht darin, dass er allein nachgrübelte. Er musste wieder in Rapport mit den Schädeln treten, musste mit ihnen gemeinsam versuchen, das Hindernis zu überwinden.
    Und in diesem Augenblick gestand er sich zum ersten Mal ein, dass er sich vor den Kristallschädeln fürchtete.
    Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schock und trieb ihm regelrecht die Luft aus den Lungen. Keuchend stand er da und rang nach Atem, und es war ihm, als hätte sich ein Nebel über seinem Verstand gelichtet. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die Schädel an, einen nach dem anderen, bis sein Blick

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