Raven - Schattenreiter (6 Romane)
tue ich es.« Er schüttelte den Kopf, stand auf und ging langsam zum Fenster. »Sei froh, dass du noch lebst«, fügte er etwas sanfter hinzu. »Bei dem Wirbel, den du veranstaltet hast, hätte es mich nicht gewundert, wenn der Boss dich gleich hätte umlegen lassen.«
»Was heißt hier Wirbel!«, begehrte Coco auf. »Ich ...«
»Immerhin haben die Bullen extra ein Sonderkommando zusammengestellt, um dich und die Kleine zu suchen«, fiel ihm Karden ins Wort. »Der Boss glaubt dir ja, dass du keinem ein Wort verraten hast. Wenn er das nicht glauben würde, wärst du schon tot, Kleiner. Aber wir können es uns nicht leisten, jemanden wie dich frei rumlaufen zu lassen. Die Bullen haben garantiert ein Auge auf dich geworfen. So jemanden können wir uns nicht leisten, das verstehst du doch, oder? Du wirst für eine Zeit untertauchen müssen. Und nun halt endlich die Klappe. Ich will wenigstens ein bisschen Ruhe, wenn ich schon nicht schlafen kann.«
Er warf Coco einen raschen, warnenden Blick zu, schlurfte zu seinem Stuhl zurück und ließ sich ächzend darauf nieder. Das altersschwache Holz knirschte unter seinem Gewicht.
Coco ließ sich seufzend zurücksinken. Die Gangster hatten ihn, unmittelbar nachdem er die Polizeiwache verlassen hatte, abgefangen. Und seitdem saß er in diesem schäbigen Hinterzimmer in irgendeinem drittklassigen Londoner Hotel fest. Den Boss hatte er bisher nicht zu Gesicht bekommen, aber das war auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich war er nichts weiter als ein kleiner Dealer, einer von Hunderten, die für den geheimnisvollen Boss arbeiteten. Er kannte Karden und ein paar andere Schläger, außerdem Jones, den Mann, von dem er seinen Stoff bezog, aber damit hörte es schon auf.
Er schloss die Augen, ballte die Fäuste und versuchte zum millionsten Mal, sich zu erinnern.
Es ging nicht. Er war mit Hillary diese Treppe hinuntergegangen und in einen riesigen, dunklen Raum gelangt, und dann ...
In seinen Erinnerungen schien ein Loch zu sein, ein schwarzes, leeres Loch. Sie waren von der Polizei aufgelesen worden, als sie durch einen stillgelegten Wartungsschacht nach oben krochen, sie und ein Dutzend Fremder, aber er konnte sich weder erinnern, was in der ganzen Zeit dort unten geschehen war, noch wann sie auf die anderen gestoßen waren. Es war, als wären die Stunden, die sie in dem unterirdischen Labyrinth verbracht hatten, auf geheimnisvolle Weise aus seinem Gedächtnis gelöscht worden.
Karden fuhr plötzlich aus seinem Sitz hoch, starrte auf die geschlossene Tür und runzelte die Stirn.
Coco setzte sich ebenfalls auf. Er wollte etwas sagen, aber Karden legte rasch den Zeigefinger über die Lippen und schüttelte den Kopf. Coco verstand.
Und jetzt hörte er es auch. Irgendetwas - oder jemand - war dort draußen. Er hörte ein leises, schleifendes Geräusch, einen Laut, als schliche dort draußen jemand herum. Vorsichtig setzte er sich auf, schlug die Decke zurück und schwang die Beine von der Liege.
Karden stand ebenfalls auf, griff unter seine Jacke und zog einen großkalibrigen Revolver hervor. Behutsam zog er den Hahn zurück, huschte mit einem schnellen Schritt neben die Tür und winkte Coco, sich auf der anderen Seite zu postieren. Der Schwarze gehorchte wortlos.
Die Schritte waren jetzt deutlicher zu hören. Sie hörten sich kaum wie menschliche Schritte an, sondern schwerer, plump tapsend und schwerfällig, als streiche dort draußen ein Bär herum. Coco vertrieb den Gedanken ärgerlich und presste sich enger gegen die Wand.
Die Schritte näherten sich jetzt eindeutig der Tür. Irgendetwas Hartes, Horniges kratzte über das Holz, dann wurde die Klinke langsam heruntergedrückt.
Karden spannte sich.
Die Tür wurde ganz langsam geöffnet, wenige Millimeter zuerst, dann einen Spaltbreit. Eine große, hell schimmernde Hand tastete über den Türrahmen, suchte nach dem Lichtschalter und drückte ihn.
Karden schlug im gleichen Augenblick zu, in dem das Licht aufflammte. Der Kolben des Revolvers krachte auf die Hand. Ein dumpfer, halb erstickter Schmerzenslaut drang von draußen herein.
Karden riss die Tür vollends auf, packte den Mann an den Mantelaufschlägen und zerrte ihn mit einem Ruck zu sich herein. Der Fremde keuchte überrascht, hob in einer instinktiven Abwehr die Hände und krümmte sich zusammen, als der Killer ihm das Knie in den Unterleib rammte. Karden lachte rau, riss den Mann noch einmal in die Höhe und schickte ihn mit einem Schwinger vollends zu
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