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Ravinia

Titel: Ravinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Sterne sehen von dort, wenn auch im staubigen Dunst der Großstadt nicht alle.
    Lustig wurde es immer dann, wenn wir erklären mussten, woher wir kommen und was wir arbeiten. Wir haben dann meistens die Adresse von Arthurs Eltern in Edinburgh angegeben und gesagt, wir würden einen Schlüsselladen in der Victoria Street unterhalten, also dort, wo Baltasar Quibbes sein Geschäft hat, das er ja nun schon seit einiger Zeit geschlossen hält (dabei gibt es meines Erachtens keinen besseren Schlüsselmacher auf der Welt als ihn. Dein Vater ist wirklich, wirklich gut, aber Baltasar Quibbes ist genial).
    Interessant war auch die Stadtführung, die Rabbi Friedmann uns verpasste. Wir sind seit Jahren nicht in Prag gewesen, aber aus der Sicht eines Touristen ändert sich wahrscheinlich auch nicht sehr viel. Rabbi Friedmann erklärte uns, welche Cafés in den letzten Jahren Pleite gemacht haben und wo sich nun welches Fachgeschäft befindet und so weiter. Trotzdem war es schön, einmal wieder durch die goldene Innenstadt an der Moldau zu schlendern, vor allem wenn es in einem so schönen goldenen Herbst passiert.
    Am Ende trat Rabbi Friedmann dann noch mit einer seltsamen Bitte an Deinen Vater heran. Als wir wieder bei der Maisel-Synagoge waren und Tee tranken, stellte er uns einen sehr seltsamen jungen Mann vor. Er muss ungefähr sechzehn Jahre alt sein und heißt Tom. Woher er kommt, erzählte uns der Rabbi nicht und der junge Kerl sowieso nicht, denn der war so stoisch und still, wie es eigentlich gar nicht zu jemandem in seinem Alter passt. Rabbi Friedmann bat uns, bei Baltasar Quibbes anzufragen, ob er dort eine Lehre als Schlüsselmacher anfangen könne. Wie seltsam. Dein Vater bot dem Rabbi sogar an, sich selbst seiner annehmen zu können, aber der Rabbi bestand darauf, dass entweder Baltasar Tom ausbilde oder niemand. Ich persönlich hege meine Zweifel, ob Baltasar sich überreden lassen wird, aber ich hatte ja bereits geschrieben, wie seltsam er geworden ist, nachdem Ruben sich zu Roland Winter bekannt hat.
    Ich hab Dich lieb,
    Deine Mama

    November 1993

    Es ist ein November, wie er im Buche steht. Draußen werden die letzten Blätter vom Regen von den Bäumen gespült. Genauso, wie Guns’n’Roses in November Rain singen. Aber ich weiß ja gar nicht, ob Dir diese Musik überhaupt je etwas bedeuten wird. Vielleicht hörst Du später Klassik und spielst Geige oder hängst dem Fünfzigerjahre-Gedudel an, das Deine Großmutter so gerne hört.
    Ach, es ist so spannend, sich auszumalen, was einmal aus Dir werden mag. Ich stelle mir insgeheim schon vor, wie Du als junge Frau aussehen wirst. Es ist schön zu schwärmen. Vielleicht gehörst Du ja dann einer Zunft von Ravinia an. Und wenn Du kein besonderes Talent hast, ist das auch nicht schlimm.
    Mein Bauch wird langsam richtig straff und kugelrund, ich fürchte, ich platze bald.
    Dein Vater macht heiße Schokolade. Ich werde mich jetzt mit ihm und mit Dir vor den Kamin kuscheln.
    Deine Mama

    Dezember 1993

    Ich fürchte, es wird Zeit, dass ich Dir einmal von unangenehmeren Dingen schreibe. Dein Vater sagt, ich solle aufhören, mir Sorgen zu machen, das wäre in meinem Zustand nicht gut, aber er hat ja keine Ahnung. Immer wird man nur mit Samthandschuhen angefasst, wenn man schwanger ist. Es wird Zeit, dass das endlich vorbei ist, vor allem da ich Dich dann auch endlich in den Armen halten kann.
    Ruben hat uns besucht.
    Es war grausig.
    Wir hatten uns seit Jahren nicht gesehen. Er war mit Deinem Vater zusammen Lehrling bei Baltasar Quibbes. Während Dein Vater sich zu einem großartigen Schlüsselmacher mauserte, tat Ruben dasselbe in Richtung Uhrwerke und Feinmechanik. Dein Vater war später der Meinung, dass Baltasar ihm irgendwann nichts mehr hätte beibringen können, da er selbst ein viel besserer Schlüsselmacher als Mechaniker sei. Also habe Ruben sich die letzten Monate seiner Lehrzeit sein Können hauptsächlich selbst beigebracht.
    Irgendwann begann er offenbar, mechanische Spielzeuge zu bauen. Kleine Käfer, Ratten und Mäuse, die sich von alleine bewegen konnten und ihm gehorchten. Er betete die Lehren von Descartes und de Vaucanson förmlich an, und schließlich brachte er eine mechanische Ratte als Meisterstück vor den Stadtrat, viel schneller, als Dein Vater überhaupt mit einem Meisterstück begonnen hatte.
    Kurz nach dem Erlangen der

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