Raylan (German Edition)
Achtzigtausend.«
Zehntes Kapitel
D as Büro in Lexington stellte Raylan einen Partner, ob er wollte oder nicht.
Bill Nichols, fünfundfünfzig, war schon sein halbes Leben lang Marshal; schlank, knapp eins achtzig, kurz geschnittener Haarkranz rund um den gebräunten Kahlkopf. Er sagte zu Raylan: »Mit vierzehn war ich ein Besserwisser und rasierte mir den Schädel, um ein sechzig Kilo schwerer Rechtsextremist zu werden. Noch vor meiner ersten Hakenkreuztätowierung hatte ich die Nase voll davon, ständig von diesen ausgewachsenen Neonazi-Deppen verprügelt zu werden. Ich dachte mir, scheiß drauf, und wechselte das Feld, trat in ein Priesterseminar ein. Aber um Mönch zu werden, nicht Priester. Spielte Softball, wanderte mit den Händen in den Ärmeln des Habits durch die Gegend und dachte an Mädchen. Ich stieg wieder aus, ging nach Großbritannien, kam zu den Marshals und heiratete meine Frau Julie. Das ist jetzt siebenundzwanzig Jahre her. Wir haben drei Söhne, gute Jungs, schlau, hatten immer einen Notendurchschnitt von eins Komma fünf oder besser. Max ist heute Englischlehrer in Frankreich, Alex designt Bucheinbände für italienische und französische Verlage, und Tim schreibt in New York an seinem zweiten Roman. Der erste hat sich viertausend Mal verkauft. Ich habe ihn gefragt, um was es in dem neuen geht. Er hat gesagt, der Subtext sei dieEntlarvung künstlerischer Überheblichkeit. Und Kate, meine Kleine, ist im letzten Highschooljahr und will Marshal werden.«
»Da muss ich mich ja ranhalten«, sagte Raylan.
»Wie lange bist du schon verheiratet?«
»Ich bin geschieden«, sagte Raylan. »Hast du je nach den Nazis gesucht, die dich damals verprügelt haben?«
»Zwei von ihnen sind tot, Überdosis. Der dritte«, sagte Nichols, »war ein Crackhead, als ich ihn aufgestöbert hatte, seine Tattoos waren kaum noch zu erkennen. Ich habe ihn vor eine Backsteinmauer gestellt, ihm tief in die Augen geblickt und meine Lederhandschuhe angezogen. Dann habe ich ihm links, rechts einen Kinnhaken verpasst. Er ist zu Boden gegangen, und ich stand da und habe ihn angesehen.«
Raylan sagte: »Hat er dich wiedererkannt?«
»Ich bezweifle es.«
»Aber du musstest es tun, bevor du zu alt dafür geworden wärst«, sagte Raylan. »Schade, dass er nicht als Krimineller gesucht war.«
»Dann hätte ich ihn erschießen können, hätte er Widerstand geleistet.«
»Ich meinte eigentlich, damit du einen Grund gehabt hättest, ihn festzunehmen.«
Nichols fragte: »Schon mal einen Menschen erschossen?«
»Ja«, sagte Raylan.
»Einen bewaffneten Flüchtigen?«
»Mehr als einen«, sagte Raylan.
»Wie viele ist letztendlich auch egal, oder?«
»Absolut«, sagte Raylan. »Ein oder zwei Mal habe ich gerade noch Glück gehabt.«
»Wenn nichts anderes übrig bleibt, als die Waffe zu ziehen.«
»Und man weiß, dass man jetzt besser einen tödlichen Schuss anbringt«, sagte Raylan.
Nichols nickte Raylan zu.
Sie verstanden sich.
***
In Nichols Crown Vic waren sie bei einem zweistöckigen Holzhaus auf der Chestnut Street gewesen, das auf einem von Cubas Führerscheinen als Adresse angegeben war, sich allerdings als Pension herausgestellt hatte. Cuba Franks? Den hatte seit über einem Jahr niemand mehr gesehen. Sie fuhren weiter.
Die letzte Anschrift, die sie von ihm hatten, war draußen auf der Athens Walnut Hill Road. Nichols wusste, dass das die Burgoyne-Farm war.
»Ist der doch tatsächlich gegangen«, sagte Nichols, »und hat sich nicht umgemeldet. Ich habe einen Bruder, der macht nichts anderes, als Gatter für Pferdehöfe zu bauen. Jedes Jahr werden in den USA fünfunddreißigtausend Vollblutpferde geboren. Zwanzig davon schaffen es auf die Rennbahn. Ein Pferderennen kann man nicht schmieren.«
Raylan sagte: »Mit Burgoyne hast du aber noch nicht gesprochen, oder?«
»Das haben zwei jüngere Marshals gemacht«, sagte Nichols. »Mr. Burgoyne hat ihnen erzählt, dass Cuba Franks ihn im Stich gelassen hat. Er soll gesagt haben: ›So machen die das immer: Wenn sie keine Lust mehr haben zu arbeiten, rennen sie weg.‹ Mit ›die‹ meint er die Afroamerikaner«, sagte Nichols. »Ich habe mich endlich daran gewöhnt, Afroamerikaner zu sagen.«
»Burgoynes Frau«, sagte Raylan, »glaubt, dass Cuba dieSchnauze voll davon hatte, immer einen afrikanischen Akzent vorzutäuschen?«
Nichols sagte: »Sie fand’s lustig. Wirkte, als ob sie Cuba besser kannte als ihr Mann.«
»Mit Cuba sind wir auf der richtigen Fährte«,
Weitere Kostenlose Bücher