Raylan (German Edition)
Teich war auf knapp dreißig Zentimeter abgesunken, die Fische trieben tot im schaumigen Kohlenschlamm.
»Könnt ihr euch vorstellen«, sagte Otis, »wie viele Jahre es gedauert hat, diesen Teich auszuheben und so hinzubekommen, wie ich ihn haben wollte? Gabelwelse, Sonnenbarsche und Elritzen einzusetzen? Meine Enkel sind regelmäßig hergekommen, um zu angeln, so zum Spaß. Wenn einer angebissen hat, haben sie ihn wieder reingeworfen.«
Boyd sagte: »Aber wahrscheinlich nur, wenn sie gerade keinen Hunger hatten. Ich und Mr. Gracie hier arbeiten für M-T Mining, Otis. Wir fahren rum und erkundigen uns überall, ob es Beschwerden gibt. Leute in den Tälern, die rummeckern wegen des Drecks, der runterkommt, weil wir Kohle abbauen.«
Den Blick immer noch auf den toten Teich gerichtet, sagte Mr. Gracie: »Irgendwo muss das ganze Gestein und der Boden ja hin, die übrig bleiben, wenn die Kohle rausgeholt wird.«
»Dass das Zeug sauer ist, interessiert Sie wohl nicht«, sagte Otis. »Der Haldenabfluss hat den Bach, der meinen Teich gespeist hat, kippen lassen, und jetzt schwimmen meine Fische mit dem Bauch nach oben.«
Er sah, wie Mr. Gracie sich an den Rand des Teiches hockte, und hörte ihn sagen: »Hey, ich glaube, der eine lebt noch. Sehen Sie mal, wie der kleine Kerl da rumzappelt und sich fragt, wo der Teich geblieben ist.«
Mit einem Schritt war Otis hinter ihm und trat mit dem Stiefel gegen Mr. Gracies Sakko-Rücken, sodass seine Arme zur Seite flogen und er mit dem Gesicht voran in der schlammigen Brühe landete.
Otis sagte: »Lässt sich nicht so gut atmen da drin, oder?«
Als Otis sich zu ihm drehte, verkniff sich Boyd schnell sein Grinsen und sagte: »Ich glaube, das war keine gute Idee.«
»Ich habe vierzig Jahre in den Minen geschuftet«, sagte Otis, »und immer nur Ja und Amen gesagt zu euch Firmen-Yuppies. Es reicht.«
Am Abend wollte Otis das Abendessen auf den Herd stellen – Kartoffeln, Steckrüben und Suppengrün –, aber vorher setzte er sich noch zu Marion, die den Morgenmantel eng vor der Brust zusammenhielt und nur mühsam durch den Mund atmete. Er gab ihr zwei von ihren Schmerztabletten und ein Marmeladenglas voll puren Whiskeys, das sie eine Weile beschäftigen würde. Sie war nie in einer Mine gewesen, hatte aber allein von der schlechten Luft eine Staublunge.
Er hörte, wie eine Planierraupe angelassen wurde, eine der großen Dieselmaschinen – er konnte jedes Geräusch dem entsprechenden Gerät zuordnen, den Raupen und Baggern. Auch der Wolfshund hörte es und erhob sich. Sie schissen mal wieder auf die Strafgebühren und schoben den Aushub vom Tagebau oben am Looney Ridge einfach über die Bergflanke. Es klang allerdings sehr nah. Und wieso arbeiteten sie mitten in der Nacht?
Als Otis das Geräusch brechender Äste hörte, das Prasseln von Steinen, wusste er, dass es zu spät war, um sich Marion zu schnappen und sie beide in Sicherheit zu bringen: Ein Felsbrocken von der Größe seines Ford Pick-up kam wie der Weltuntergang über sein Haus, und das Holzhaus opferte ihm Möbel und Wände, nichts hielt dieses Stück Berg auf. Es zerschmetterte den Fußboden, durchschlug die Vorderwand, nahm dabei Tür und Fenster mit und durchpflügte noch die Blumenbeete, bevor es seinen Schwung verlor und in Otis’ Teich schließlich seine Reise beendete.
Marion, die mit dem Drink in der Hand und von Pillen und Schnaps benebelt in ihrem Schaukelstuhl saß und dem Pfad der Zerstörung den Rücken zugewandt hatte, fragte Otis: »Was um alles in der Welt war das?«
Otis sagte: »Ich fahre jetzt hoch, um mich mal mit dem Kohlekonzern zu unterhalten, vorher bring ich dich aber noch rüber zu deiner Schwester, in Ordnung? Wir können eigentlich auch gleich über Nacht dort bleiben, wenn ich zurück bin.«
Marion sah, wie Otis sein verschlissenes Jackett über die Latzhose zog und Gewehrpatronen einsteckte. Für einen kurzen Moment schien sie klar im Kopf und sagte: »Du unternimmst also endlich was gegen diesen verfluchten Kohlekonzern?«
Das Büro von M-T Mining stand auf einem flachen Bergrücken, der vom Kohlehunger des Unternehmens seiner Bäume und Büsche beraubt worden war. Boyd hatte gerade den Teichgestank aus Mr. Gracies SUV gewaschen, als Mr. Gracie ihn instruierte, was es für ihn zu tun gab.
»Nur, damit ich das richtig verstehe«, sagte Boyd. »Sie wollen, dass ich einen Felsbrocken über die Flanke kippe und versuche, damit Otis’ Haus zu treffen?«
»Schaffen Sie’s nicht«,
Weitere Kostenlose Bücher