Rebecca
vielleicht«, sagte sie. »Ich habe es nicht eilig, ich arbeite nur vormittags. Ah.« Die Bedienung stellte Kaffee und kleines Glas vor sie hin. »Ich habe mir ein Schnäpschen dazubestellt«, erklärte Frauke. »Gegen den Schrecken von vorhin.«
Die Bedienung nickte gleichgültig. Als sie weg war, trank Frauke ihr Glas in einem Zug aus. Sie seufzte. »Ich glaube, ich brauche noch einen«, sagte sie. »Ich hätte mich beinahe in den Finger geschnitten, weil ich mich die ganze Zeit gefragt habe, was Sie wohl von mir wollen. Oder was Reinout von mir will, warum er sie zu mir geschickt hat. Ich kann nichts mehr für ihn tun und das ist schlimm genug.«
»Sie waren gut mit ihm befreundet, stimmt’s?«
»Ja, stimmt.« Ihr Blick wurde traurig. »Bis es damit ein für alle Mal vorbei war.« Sie spitzte ihren kleinen Mund.
Kein Zweifel. »Bis Anke dazwischenkam?«
»Ach, darüber bin ich längst hinweg. Einen sabbernden Mann im Rollstuhl hat sie mir hinterlassen, man muss sich schämen, so etwas über die eigene Schwester sagen zu müssen.«
»Reinout meint heute, er hätte damals lieber Sie heiraten sollen.«
»So.« Abweisend. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
Sie war die Schwester mit dem Grips im Kopf und sie würde sich nicht ewig ablenken lassen, aber ich hatte schon ein paarmal zu oft Leute behaupten hören, die Vergangenheit interessiere sie nicht mehr. »Haben Sie auf ihn gewartet?«, fragte ich. »In den ersten Jahren, meine ich. Schließlich konnte ein Blinder sehen, dass die beiden nicht zusammenpassten und es irgendwann aus sein würde.«
»Wenn Anke nicht eine bessere Idee gehabt hätte.« Plötzlich fuhr sie mich an: »Warum müssen Sie unbedingt diese alten Geschichten aufwärmen? Verdammt nochmal!« Ihre Stimme stieg um eine Oktave, als sie wütend schrie: »Gerrie!«
Die Bedienung erschien in der offenen Tür. Ich hielt Fraukes Glas hoch und zwei Finger meiner anderen Hand. »Es ist eine tragische Geschichte«, sagte ich. »Sie wissen am besten über alles Bescheid, deswegen habe ich mich an Sie gewandt. Ich möchte gern etwas mehr über den Unfall erfahren.«
»Einer hat ihn vor den Zug gestoßen, mehr gibt es nicht zu erzählen«, sagte sie. »Sind Sie etwa von der Polizei? Dass ich nicht lache. Die Polizei hat doch dem schönen Roelof mit seinen Krokodilstränen geglaubt. Also nicht von der Polizei. Wollen Sie vielleicht ein Buch darüber schreiben?«
»Ach, übrigens, ich heiße Max.« Ich hatte Glück; mehr brauchte ich nicht zu sagen, weil die Bedienung unsere Schnäpse brachte. Wieder leerte Frauke ihres in einem hastigen Zug. Ihren Kaffee hatte sie noch nicht angerührt. Mir war es ganz recht, wenn sie sich entspannte oder sogar ein wenig betrank, jedenfalls solange sie halbwegs klar im Kopf blieb. Das war zwar eine Gratwanderung, aber ich dachte an die Hochzeit und vermutete, dass sie immer schon Trost im Alkohol gesucht hatte und einiges vertragen konnte. Sie hielt das leere Glas in der Hand und blickte hinunter auf die ruhige Straße. Der Himmel war bewölkt und unter dem Sonnenschirm sah ihr Gesicht finster und brütend aus. Früher einmal musste sie hübsch gewesen sein, bevor sie diesen Bauch und den verzweifelten Gesichtsausdruck bekam, ein nettes Mädchen mit Grips und guter Figur. Noch heute hatte sie einen schönen Hals, schlanke Knöchel und feste, birnenförmige Brüste unter der roten Bluse.
»Wo ist Anke?«, fragte ich.
Sie schaute mich an. »Soll das ein Witz sein?«
Ich wollte das Gespräch in Gang halten, sie reden lassen, solange sie auf meine Taktik hereinfiel. »Sie wissen es also wirklich nicht?«
»Die ist mit dem Mörder abgehauen, aber das hat auch nicht lange gehalten, nach ihm hat sie bestimmt andere arme Würstchen rumgekriegt und vielleicht war ja mal einer mit Geld dabei. Ich weiß nicht, wie Männer nur so dumm sein können. Na ja.« Sie schnaubte verächtlich. »Natürlich weiß ich es. Die werden eben von ihrem Dingsda gesteuert, das gibt den Ton an. Wissen Sie, wie meine Schwester aussah?«
»Ich habe mal ein Foto von ihr gesehen.« Ich schob ihr mein Glas hin. »Ach, trinken Sie meinen doch bitte auch, ich muss noch fahren.«
Sie blickte mich eine Sekunde lang argwöhnisch an, die Augenbrauen über der schmalen Nase zusammengezogen, bevor sie mein Angebot annahm. Diesmal trank sie zunächst einen ganz kleinen Schluck.
»Manche Mädchen haben …« Sie versuchte mit einer ungeduldigen Geste den verräterischen Moment der Eifersucht
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