Rebecca
Argentinien ausgewandert. Dort wurde er vor zwanzig Jahren bei einem Waffenschmuggel von Zöllnern erschossen.«
»Sind die Beweise wasserdicht?«
Bart lachte. »Das wirst du nächste Woche aus der Zeitung und aus dem Fernsehen erfahren. Meulendijk organisiert eine Pressekonferenz für die Familie und ich soll dabei sein.«
»Grundmeijer wird hellauf begeistert sein, wenn er dich in der Glotze sieht.«
»Grundmeijer ist kein Problem. Er weiß Bescheid, und der Polizeipräsident auch. Ich höre im September auf, und denen muss sonnenklar sein, dass ich mich noch nicht zur Ruhe setze. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Lass uns am Wochenende in Ruhe darüber reden.«
Er wartete einen Moment und sagte dann: »Halt die Ohren steif, alter Freund.«
Ich nickte, aber das konnte Bart natürlich nicht sehen.
Frauke wohnte in einem Mietshaus in einer dieser bemüht anheimelnden, aber heruntergekommenen Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus der Sechzigerjahre. Ich entdeckte ihren Namen auf einem der Briefkästen unten im Hausflur und drückte energisch auf die Klingel. Nichts geschah. Es war gegen halb zwölf. Vielleicht hatte sie wieder einen Job in einem Supermarkt gefunden, wie in Harlingen. Dann würde ich bis sechs Uhr abends warten müssen, jedenfalls wenn sie in der Kantine aß oder sich mittags im Park mit einer der anderen älteren Verkäuferinnen eines der Sandwichs mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum teilte, die der Marktleiter ausgab.
Ich drückte die schmutzige Glastür auf und kam durch ein Betontreppenhaus mit Provinzgraffiti, die irgendwie harmloser klangen als die in der Stadt. Ich klingelte bei Nummer 106 auf der ersten Balkongalerie und spähte durch die beigefarbene Jalousie vor dem Küchenfenster. Linoleum auf dem Fußboden, eine Marmorarbeitsplatte und ein sonderbares Stillleben aus geputzten Möhren in einem Sieb, einer halb vollen Packung Makkaroni und einer halben Flasche Whiskey.
Autos standen am Straßenrand, neben dem Bürgersteig und einem kahlen Stück Fußballwiese. Nicht jeder hier arbeitete. Die Tür nebenan ging auf und eine transpirierende ältere Dame mit Spazierstock kam heraus. Ihre Augen schwammen hinter dicken Brillengläsern wie in einem Aquarium. Ich erklärte ihr, ich sei auf der Suche nach ihrer Nachbarin.
Sie seufzte mit unmutig verzogenem Gesicht. »Ist heute Dienstag?«
»Ja, Mevrouw.«
»Dann steht sie auf dem Markt«, sagte sie. »Dienstags und Freitags. Am Fischstand.«
»Arbeitet sie nicht in einem Geschäft?«
»Hat sie wohl früher mal«, sagte die Nachbarin mit einem gewissen Unterton. »Jetzt steht sie auf dem Markt und geht auch in einigen Haushalten putzen, soviel ich weiß. Sie lebt ihr Leben, wir unseres.«
Ich sagte weiter nichts dazu. »Wie heißt denn ihr Fischstand?«
»Der gehört nicht ihr, sie ist da nur angestellt. De Spakenburgse Viskoning heißt der Stand. Der Markt ist in der Innenstadt, sie können ihn gar nicht verfehlen. Ich gehe allerdings meistens auf den anderen Markt.«
Ich bedankte mich und fuhr ins Zentrum. Ein Wochenmarkt ist nie schwer zu finden. Ich parkte zwischen den zahlreichen Marktwagen an einem mit Bäumen bewachsenen Platz und ließ mich mit der Menge an den Ständen entlangtreiben: Kleidung und andere Textilien, Küchenutensilien, Uhren, Schuhe und jene sonderbaren Markterfindungen zum Gemüseschneiden, Salattrocknen, Teigrühren, Pfannenreinigen und Blumenfrischhalten (Monatelang!). Nachdem ich das Gemüse und den Käse hinter mir gelassen hatte, wehte mir der Geruch nach gebratener Makrele entgegen. Der Fischkönig hatte einen großen Marktwagen mit aufgeklappter Seitenwand und einer Einrichtung in Chrom, Marmor und Glas. In der Auslage wurden Krabben, Miesmuscheln und eine Auswahl von Fischen feilgeboten, vor der Rückwand stapelten sich Gläser mit Rollmops und sauren Gurken auf weißen Regalbrettern, mit Latten abgesichert, damit sie auf der Fahrt von Spakenburg nach Boxmeer nicht hinunterfielen. Ein Mann zog einen Matjeshering am Schwanz durch gehackte Zwiebeln, legte den Kopf in den Nacken und ließ den Fisch in den Mund gleiten, wie es sich hierzulande gehört. Zwei Damen, die Schollenfilets verlangt hatten, wurden von einem typischen Spakenburger Fischmann bedient. Rechts im Wagen stand eine Frau in weißem Kittel, die Ärmel hochgekrempelt, eine Haube auf dem kurzen, grauen Haar, und filetierte eine Scholle. Frauke sah ihrer verführerischen Schwester kein bisschen ähnlich. Sie hatte kleine, ein
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