Rebecca
gebrauchte seinen Verstand. »Setz dich doch einen Augenblick«, sagte er.
»Ich mache alles schmutzig.«
»Ach, das ist doch jetzt nicht so wichtig. Möchtest du ein Bier?«
»Wenn Sie eins dahaben …« Dennis setzte sich auf die Kante des Sessels, der auf der anderen Seite des Kamins stand. Er schaute sich um. »Schön haben Sie’s hier. Wer von Ihnen spielt denn Schach?«
Roelof ging in die Küche und holte zwei Flaschen Pils aus dem Kühlschrank. Dann besann er sich, stellte die Flaschen auf der Anrichte ab und ging durch die Tür neben der Treppe in den Wirtschaftsraum. Suzans Rock und Bluse hingen über dem Waschbecken, die Reste von Rebeccas Kleidung lagen auf dem Fußboden. Er trat über den Haufen hinweg, klopfte an die Duschtür und öffnete sie einen Spalt. In der Dusche wallte dichter Dampf, die Frauen standen zusammen darunter, Suzan in Unterhose und BH. »Wie geht’s?«, fragte er.
»Lass uns noch einen Augenblick allein«, rief Suzan. »Hast du den Arzt angerufen?«
»Er ist unterwegs.«
Roelof kehrte zu Dennis zurück, öffnete eine Bierflasche für ihn und stellte ein Glas dazu. Rob war in Utrecht und seine Abwesenheit fühlte sich seltsam falsch an, als müsse die Familie in diesem Augenblick vollzählig sein. Alles kam ihm merkwürdig und anders vor, seine Tochter blutend unter der Dusche, ein fremder junger Mann am kalten Kamin, mit Rebeccas Blut auf der Jacke, Schlamm auf den Jeans. Er war mager, nicht gerade ein Kraftpaket, wirkte aber gesund. Er hatte ein schmales, längliches Gesicht, glattes, blondes Haar, tief liegende blaue Augen, schmutzige Hände mit langen, knochigen Fingern. Roelof schätzte ihn auf Mitte zwanzig.
Er setzte sich und schenkte sich ein Pils ein. »Ein Glück, dass du gerade da vorbeigekommen bist«, sagte er.
Dennis schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht vorbeigekommen. Mein Wohnmobil steht ganz in der Nähe und ich habe sie schreien hören. Da bin ich sofort hingerannt.«
Roelof sah ihn aufmerksam an. »Du bist also nicht von hier?«
»Nein, ich komme aus Brabant.«
»Und du wohnst in einem Wohnmobil?«
»Ja, der Bauer am Langendeich hat mir erlaubt, mich eine Zeit lang dorthin zu stellen.«
»Veldhuis«, sagte Roelof.
»Ja. Ich sollte einen Job bei der Glasfabrik kriegen, aber das hat leider nicht geklappt. Na ja, ich finde schon was anderes.«
»Bist du Glasbläser?«
Dennis lachte. »Nein.«
»Habe ich dich nicht schon mal gesehen?«
»Ich wohne schon seit ein paar Wochen da, vielleicht haben Sie mich mit dem Fahrrad hier vorbeifahren sehen.«
Sie hörten den Türklopfer. Roelof stand vom Sofa auf. Dennis trank sein Glas aus. »Das ist bestimmt der Arzt«, sagte er. »Ich gehe dann mal.«
Er folgte Roelof durch den Flur zur Haustür. Der Arzt war ein agiler, untersetzter Mann um die fünfzig. Er nickte Roelof zu und musterte den verdreckten Dennis stirnrunzelnd durch seine Goldbrille. »Guten Abend, Roelof. Wo ist denn unsere Patientin?«
»Geh schon mal rein, ich verabschiede mich nur noch eben.«
Dennis ließ den Doktor durch. Roelof hielt die Tür fest. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Ich möchte dir nicht gern Geld anbieten, aber schließlich bis du arbeitslos …«
»Ich will keine Belohnung«, lehnte Dennis entschieden ab. »Ich hoffe nur, dass sie bald darüber hinwegkommt.« Er ging hinaus. »Grüßen Sie sie von mir. Ich stelle ihr Fahrrad um die Ecke an die Hauswand, in Ordnung?«
»Warte mal«, sagte Roelof. »Komm doch morgen Abend zum Essen, dann können wir uns alle bei dir bedanken.«
Dennis schüttelte den Kopf. »Ach, das würde mich nur verlegen machen.« Er hakte Rebeccas Tasche vom Lenker und gab sie Roelof.
»Gut, dann gibt’s eben nur etwas zu essen. Komm doch so gegen sechs, dann haben wir genug Zeit, ein Gläschen zu trinken.«
»Okay«, sagte Dennis.
Der Arzt hatte ihr eine Tetanusspritze gegeben, ihren Oberschenkel genäht und einen Stützverband um den verstauchten Knöchel angelegt. Er hatte ihre Schrammen desinfiziert und festgestellt, dass Rippen und Zähne in Ordnung waren und Lippen und Blutergüsse von selbst wieder heilen würden. Er gab ihr Schmerztabletten und auch eine Tablette zum Schlafen.
Haanstra war ein guter Arzt, der sie wie eine Erwachsene behandelte, keinen Quatsch redete und die Situation nicht unnötig dramatisierte. Sie müsse es selbst wissen, aber wenn es nach ihm ginge, solle sie einen Tag im Bett bleiben und übermorgen wieder in die Schule gehen. Er erzählte, dass
Weitere Kostenlose Bücher