Rebecca
leid«, murmelte der alte Mann. Rebecca war einen Moment lang verwirrt, weil sie glaubte, er meine Dennis, aber dann sagte er: »Deine Mutter sorgte dafür, dass er nicht die Richtung verlor, und danach tat es Suzan. Ich sehe ihn noch vor mir, damals mit achtzehn. Er war genau wie Rob, ewig unsicher, auf der Suche nach einem Halt, einem Anker. Wenn man alt wird, steigen all diese Erinnerungen wieder in einem hoch, obwohl manches einem ewig ein Rätsel bleibt. Hat er dir oder Rob je von seiner Karriere als Eisenbahner erzählt?«
Rebecca schaute ihn verblüfft an. »Mein Vater?«
Ihr Großvater lachte. »Hab’ ich mir’s doch gedacht.« Er stand von seinem Stuhl auf und ging ins Schlafzimmer. Er ließ die Tür offen und sie sah, wie er sich mühsam vor den Schrank hinkniete. Sie stand auf, um ihm zu helfen, aber als sie zu ihm kam, hatte er bereits einen Pappkarton unten aus dem Schrank herausgeholt. »Das ist alles, was davon übrig ist«, sagte er.
Rebecca stellte den Karton auf das Bett, setzte sich daneben und nahm den Deckel ab. Erstaunt betrachtete sie ein Sammelsurium von Schienen, Waggons, Lokomotiven, Signalen, einem Transformator, losen Einzelteilen eines Bahnhofs, einem Tunnel in Tarnfarben. »Das hat meinem Vater gehört?«
»Wir haben ihm die Eisenbahn zu seinem siebten Geburtstag geschenkt. Roelof hat immer damit gespielt. Er hat sich alles Mögliche dazugebastelt, aber davon ist nichts mehr da. Als er zurückkehrte, wollte er nichts mehr von der Eisenbahn wissen. Er schmiss alles in den Karton und stellte ihn zum Müll. Ich habe die Sachen nachts heimlich wieder von der Straße geholt, weil ich es schade darum fand. So reich waren wir nun auch wieder nicht, dass wir einfach eine elektrische Eisenbahn weggeworfen hätten. Später dachte ich, Rob hätte vielleicht Freude daran, aber Roelof wusste nicht, dass ich sie aufbewahrt hatte, und vielleicht wäre er böse geworden, wenn ich sie Rob gegeben hätte.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Rebecca. »Warum hätte er böse werden sollen?«
»Weil die Eisenbahn unschöne Erinnerungen in ihm wachgerufen hätte.«
»Diese Eisenbahn?« Rebecca legte den Deckel wieder auf den Karton und folgte ihrem Großvater ins Wohnzimmer. »Warum hast du sie dann nicht weggeworfen?«
»Weil sie ein Traum war. Träume wirft man nicht weg.«
Der alte Mann blieb vor dem Fenster stehen. Rebecca sah ein kleines Motorboot auf dem Fluss vorüberfahren. Eine Frau mit Kinderwagen ging auf dem Weg am Deich entlang spazieren. Rebeccas Großvater nickte den kleinen Jungen zu, die auf der Wiese Fußball spielten.
»Kleine Jungs haben Träume«, sagte er. »Sie wollen berühmte Fußballer werden oder Pilot. Landschaftsgärtner, wie dein Vater, kommt ihnen nicht in den Sinn. Rangierer auch nicht, glaube ich. Außer Roelof. Roelof war verrückt nach Zügen. Diese Kolosse von Gleis zu Gleis und von Weiche zu Weiche zu schicken, das liebte er. Sobald er mit der Mittelschule fertig war, begann er mit der Ausbildung, acht Monate dauerte die, glaube ich. Danach machte er ein Praktikum, da werden die Jungs von einem erfahrenen Rangierer begleitet und verdienen auch schon ihr erstes Geld. Er kam dann und wann übers Wochenende nach Hause, und schon ab dem zweiten Besuch fiel mir auf, dass er sich sehr verändert hatte. Er weigerte sich, mit mir darüber zu reden, aber ich sah es ihm an. Er war völlig geistesabwesend, als nähme er Drogen oder so, aber daran konnte es nicht liegen. Ich war froh, dass er, noch bevor das halbe Jahr um war, mit hängenden Ohren nach Hause zurückkam.«
Rebecca saß da und schaute ihn ungläubig an. »Davon hat er nie etwas erzählt«, sagte sie.
Ihr Großvater nickte. »Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber er hatte für immer von Zügen die Nase voll. Gott sei Dank konnte ich ihm eine Stelle beim Grünflächenamt besorgen. Manchmal dachte ich, es sei alles meine Schuld gewesen, weil ich mit der Modelleisenbahn sein Leben offenbar in eine falsche Richtung gelenkt hatte.«
»Ach, so ein Unsinn«, sagte sie. Sie dachte daran, was ihr Vater gesagt hatte, als Dennis das erste Mal zum Essen kam, dass jeder einmal im Leben einen Fehler macht. Karma.
»Vielleicht war er deshalb unglücklich, weil er so viel Zeit mit etwas vergeudet hatte, das nicht das Richtige für ihn war. Ich weiß es nicht. Er war von Kind an eher unsicher, das hat er von mir.« Der alte Mann schwieg. »Vielleicht ist es durch die Sache mit der Bahn nur noch schlimmer geworden. Ich
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