Rebecca
Maxims Knie. Er schien völlig ruhig zu sein, auch nicht die Spur aufgeregt. Meine Hände waren dagegen eiskalt, und mein Herz klopfte eigentümlich unregelmäßig. Und die ganze Zeit über bohrte jener stechende Schmerz in mir. Die Verhandlung fand in Lanyon statt, einem Marktflecken sechs Meilen jenseits von Kerrith. Wir parkten den Wagen auf dem großen kopfsteingepflasterten Marktplatz. Ich sah einen Passanten Maxim forschend betrachten und dann seine Begleiterin am Ärmel zupfen.
«Ich glaube, ich bleibe lieber hier», sagte ich. «Ich möchte doch lieber nicht mit hineingehen.»
«Du hättest mich gar nicht erst hierher begleiten sollen», sagte Maxim. «Ich bin von Anfang an dagegen gewesen. Du wärst viel besser zu Hause geblieben.»
«Nein», sagte ich. «Aber ich werde hier im Wagen warten.»
Frank sah zu uns herein. «Kommt deine Frau nicht mit?» fragte er.
«Nein», entgegnete Maxim. «Sie möchte hier im Wagen bleiben.»
«Das finde ich sehr vernünftig», meinte Frank. «Es liegt wirklich kein Grund vor, warum sie dabei sein sollte. Außerdem wird es ja nicht lange dauern.»
«Ich sitze hier ganz gut», sagte ich.
«Ich werde einen Platz neben mir für Sie freihalten», sagte Frank, «falls Sie sich’s doch noch anders überlegen sollten.»
Sie gingen zusammen weg und ließen mich allein. Es war ein Tag mit frühem Ladenschluß.
Die Läden sahen grau und langweilig aus. Die Straßen waren fast menschenleer. Lanyon bekam auch nicht viele Feriengäste zu sehen; es lag zu weit vom Meer ab. Ich saß da und betrachtete die gegenüberliegenden Läden. Die Zeit verstrich Minute um Minute. Ich überlegte mir, was sie jetzt wohl taten, Frank und Maxim und Oberst Julyan. Ich stieg aus dem Wagen und ging auf dem Marktplatz auf und ab. Ich blieb vor einem Laden stehen und sah hinein. Dann ging ich wieder weiter. Ein Polizist musterte mich neugierig.
Ich bog in eine Seitenstraße ein, um ihm aus den Augen zu kommen. Plötzlich bemerkte ich, daß ich mich unwillkürlich dem Gebäude genähert hatte, in dem die Verhandlung stattfand.
Die genaue Zeit war in den Zeitungen nicht bekanntgegeben worden, und deshalb fand ich nicht die Menschenmenge vor, die ich erwartet und gefürchtet hatte. Niemand war zu sehen.
Ich ging die Stufen hinauf und öffnete die Tür.
Von irgendwoher tauchte ein Polizist auf. «Suchen Sie etwas?» fragte er.
«Nein», sagte ich, «nein.»
«Hier dürfen Sie nicht warten», sagte er.
«Entschuldigen Sie bitte», sagte ich und ging wieder auf die Straße zurück.
«Verzeihen Sie, Madam, sind Sie nicht Mrs. de Winter?»
«Ja», sagte ich.
«Das ist natürlich etwas anderes», sagte er. «Dann können Sie selbstverständlich hier bleiben.
Möchten Sie vielleicht hier so lange Platz nehmen?»
«Danke schön», sagte ich.
Er führte mich in ein kleines, kahles Zimmer, in dem nur ein Schreibtisch und eine Bank standen. Es sah aus wie ein Warteraum auf dem Bahnhof. Ich saß dort mit den Händen im Schoß.
Fünf Minuten vergingen. Nichts ereignete sich. Dies war schlimmer, als draußen im Wagen zu warten. Ich stand auf und ging in den Flur hinaus. Der Polizist war noch da.
«Wie lange wird es wohl noch dauern?» fragte ich.
«Ich werde einmal nachhören, wenn Sie wünschen», sagte er.
Er verschwand in einem Seitengang. Gleich darauf kam er wieder zurück. «Es kann nicht mehr sehr lange dauern», sagte er. «Mr. de Winter hat soeben ausgesagt. Captain Searle und der Taucher und Doktor Phillips haben ihre Aussage bereits gemacht. Jetzt kommt nur noch Mr. Tabb, der Bootsbauer aus Kerrith, dran.»
«Dann wird es ja gleich vorüber sein», meinte ich.
«Ja, ich glaube auch, Madam», sagte er; und dann kam ihm plötzlich ein Gedanke: «Möchten Sie vielleicht die Aussage dieses letzten Zeugen anhören? Gleich an der Tür ist noch ein Platz frei. Sie können unbemerkt hinein-schlüpfen.»
«Ja, danke», sagte ich, «das will ich gern.»
Die Verhandlung war bereits fast zu Ende. Maxim hatte schon ausgesagt. Es machte mir nichts aus, mit anzuhören, was jetzt noch kam. Ich hatte nur Maxim nicht hören wollen; das hätte mich zu sehr aufgeregt. Deswegen war ich auch nicht gleich mit ihm und Frank gegangen. Jetzt war es einerlei. Er hatte schon ausgesagt.
Ich folgte dem Polizisten, und am Ende des Korridors machte er eine Tür auf. Ich schlüpfte hinein und setzte mich auf den leeren Platz. Ich hielt den Kopf gesenkt, um niemanden ansehen zu müssen. Der Raum war kleiner, als ich
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