Rebecca
herumlaufen.»
«Er muß aber doch einmal von irgendwem sehr eingeschüchtert worden sein», sagte Oberst Julyan. «Er verdrehte die Augen genau wie ein Hund, der Prügel erwartet.»
«Hätten Sie ihn doch ruhig verprügelt», sagte Favell, «dann hätte er sich schon an mich erinnert; aber nein, Ben wird nicht geprügelt, Ben bekommt ein gutes Abendessen, weil er so brav gewesen ist.»
«Ja, Ihnen hat er nicht viel geholfen», bemerkte Oberst Julyan ruhig. «Wir sind nicht einen Schritt weitergekommen. Sie können auch nicht die Spur eines Beweises gegen de Winter vorbringen, und das wissen Sie. Schon der Beweggrund zur Tat, den Sie angeben, ist nicht stichhaltig. Vor einem ordentlichen Gericht würden Sie sich nur hoffnungslos lächerlich machen, Favell. Sie behaupten, Mrs. de Winter hätte Sie heiraten wollen, Sie hätten heimlich unerlaubte Beziehungen zu ihr unterhalten und seien mit ihr im Bootshaus
zusammengetroffen. Aber selbst der arme Teufel eben schwört darauf, Sie nie gesehen zu haben. Sie können ja nicht einmal glaubhaft machen, daß auch nur der Teil Ihrer Geschichte stimmt.»
«So, das kann ich nicht?» sagte Favell. Er lächelte wieder, ging zum Kamin hinüber und läutete.
«Was wollen Sie jetzt tun?» fragte Oberst Julyan.
«Warten Sie nur ab», sagte Favell.
Ich ahnte schon, was er vorhatte. Frith kam auf das Klingeln herein.
«Bitten Sie Mrs. Danvers, hierher zu kommen», sagte Favell. Frith blickte fragend auf Maxim, der ihm kurz zunickte.
«Ist Mrs. Danvers nicht die Haushälterin?» fragte Oberst Julyan, nachdem Frith aus dem Zimmer gegangen war.
«Jawohl, aber sie war auch Rebeccas Vertraute», sagte Favell. «Sie ist schon bei ihr gewesen, als Rebecca noch ein Kind war, und hat sie mehr oder weniger aufgezogen.
Bei Danny werden Sie es mit einem ganz anderen Zeugen zu tun haben als bei Ben.»
Frank trat wieder ins Zimmer. «Den lieben Ben gut ins Bettchen gepackt?» sagte Favell.
«Ihm schön zu essen gegeben und ihm den Kopf gestreichelt, weil er ein so artiges Kind war?
Diesmal wird euer Gewerkschaftsverein es nicht ganz so leicht haben.»
«Mrs. Danvers wird gleich hier sein», sagte Oberst Julyan erklärend zu Frank. «Favell glaubt, aus ihr mehr herausholen zu können.» Frank warf einen schnellen Blick auf Maxim. Oberst Julyan bemerkte es, und ich sah, wie er die Lippen zusammenpreßte. Das gefiel mir nicht.
Nein, das wollte mir gar nicht gefallen. Ich fing an, wieder an meinen Nägeln zu kauen.
Wir blickten alle gespannt zur Tür, als Mrs. Danvers ein-trat. Vielleicht lag es daran, daß ich sie fast immer nur allein gesehen hatte: neben mir war sie mir immer so groß und hager vorgekommen, aber jetzt erschien sie mir zusammengeschrumpft und geradezu winzig gegen Maxim und Favell und Frank, zu denen sie aufblicken mußte. Sie blieb an der Tür stehen, ihre Hände vor sich gefaltet, und sah von einem zum anderen.
«Guten Abend, Mrs. Danvers», sagte Oberst Julyan.
«Guten Abend, Sir.» Es war wieder die alte, tote, mechanische Stimme, die ich so oft gehört hatte.
«Zunächst möchte ich eine Frage an Sie richten, Mrs. Danvers», sagte Oberst Julyan, «und zwar folgende: Waren Sie von den Beziehungen zwischen Ihrer verstorbenen Herrin und Mr.
Favell unterrichtet?»
«Ja, sie waren Vetter und Cousine.»
«Ich meinte nicht den Verwandtschaftsgrad, Mrs. Danvers», sagte Oberst Julyan, «ich meinte noch intimere Beziehungen.»
«Ich fürchte, ich habe Sie nicht verstanden, Sir», sagte Mrs. Danvers.
«Ach, laß das Theater, Danny», fiel Favell ein. «Du weißt ganz genau, worauf der Oberst hinaus will. Ich hab’s ihm zwar schon selber gesagt, aber mir will er nicht glauben. Rebecca und ich haben doch jahrelang ein Verhältnis gehabt. Sie hat mich doch geliebt, nicht wahr?»
Zu meinem Erstaunen betrachtete Mrs. Danvers ihn einen Augenblick schweigend mit einem verächtlichen Ausdruck im Gesicht.
«Das hat sie nicht», sagte sie.
«Also hör mal zu, du alte Närrin …» brauste Favell auf, aber Mrs. Danvers fiel ihm ins Wort.
«Rebecca hat weder Sie noch Mr. de Winter geliebt. Sie hat überhaupt niemanden geliebt. Sie verachtete die Männer. Über so etwas war sie erhaben.»
Favell errötete vor Zorn. «Also hör mal her, Danny. Ist sie mir etwa nicht Nacht für Nacht durch den Wald entgegengekommen? Bist du nicht bis zum frühen Morgen für sie
aufgeblieben? Hat sie nicht in London mit mir zusammengelebt?»
«Na und?» brach Mrs. Danvers plötzlich aus.
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