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Rebecca

Rebecca

Titel: Rebecca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Du Maurier
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einzige Ort in der Welt, wo es Aufrichtigkeit gab. Ich liebte es. Zärtlichkeit überwältigte mich.
    Und heute mußte ich es verlassen.
    «Sie haben sich doch nicht etwa erkältet?» fragte Mrs. Van Hopper beim Frühstück.
    «Nein, ich glaube nicht», erwiderte ich, mich an diesen Strohhalm klammernd; denn falls ich allzu rot um die Augen aussehen sollte, würde mir vielleicht eine Erkältung später als Ausrede dienen können.
    «Ich hasse es, noch so herumzusitzen, wenn alles bereits gepackt ist», brummte sie; «wir hätten uns für den früheren Zug entscheiden sollen. Wenn wir uns bemühen, könnten wir es noch schaffen und uns dann länger in Paris aufhalten. Telegraphieren Sie Helen, sie soll uns nicht von der Bahn abholen, aber machen Sie gleich einen anderen Treffpunkt aus. Ich überlege» – sie sah auf ihre Uhr – «ja, ich denke doch, daß sie uns die reservierten Plätze noch umtauschen können. Jedenfalls lohnt es sich, den Versuch zu machen. Laufen Sie schnell ins Büro und sehen Sie, was sich erreichen läßt.»
    «Ja», sagte ich, der Spielball ihrer Launen, ging in mein Zimmer, schlüpfte in den unvermeidlichen Flanellrock und zog mir den selbstgestrickten Pullover über den Kopf.
    Meine Gleichgültigkeit ihr gegenüber verwandelte sich in Haß. Also dies war nun wirklich das Ende! Selbst der Vormittag mußte mir genommen werden! Keine letzte halbe Stunde auf der Terrasse mehr, vielleicht nicht einmal zehn Minuten, um Lebewohl zu sagen. Weil sie eher mit dem Frühstück fertig geworden war, als sie vorausgesehen hatte, weil sie sich langweilte. Na gut, ich würde al-le Zurückhaltung und Bescheidenheit fahren lassen und jeden Stolz aufgeben. Ich schlug die Tür des Wohnzimmers hinter mir zu und lief den Korridor entlang. Ich wartete nicht auf den Fahrstuhl, sondern rannte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppen hinauf, bis zum dritten Stock. Ich kannte seine Zimmernummer, 148, und ich klopfte laut an, blutrot und atemlos.
    «Herein!» rief er, und ich öffnete die Tür, meinen Entschluß schon wieder bereuend, und der Mut sank mir, denn womöglich war er gerade erst aufgewacht, weil er gestern so spät schlafen gegangen war, und lag vielleicht noch im Bett, ungekämmt und reizbar.
    Er rasierte sich am offenen Fenster, eine Kamelhaarjacke über dem Pyjama, und ich in meinem Flanellkostüm und den schweren Schuhen fühlte mich unbeholfen und zu warm angezogen. Ich war bloß töricht gewesen, während ich mir so dramatisch vorgekommen war.
    «Was wollen Sie?» fragte er, «ist etwas nicht in Ordnung?»
    «Ich möchte mich verabschieden», sagte ich, «wir reisen heute morgen ab.»
    Er starrte mich an und legte dann seinen Rasierapparat auf den Waschtisch. «Schließen Sie die Tür», sagte er.
    Ich schloß die Tür hinter mir, blieb verlegen stehen und ließ die Arme herabhängen.
    «Was sagen Sie da?»
    «Ja, es stimmt. Wir fahren heute ab. Wir wollten erst den späteren Zug nehmen, und jetzt möchte sie noch den früheren erreichen, und ich hatte Angst, ich würde Sie nicht mehr sehen.
    Ich mußte Sie ganz einfach noch einmal sehen, bevor ich abreise, um Ihnen zu danken.»
    Da stolperten sie heraus, diese idiotischen Worte, genauso, wie ich es geahnt hatte. Ich fühlte mich gehemmt und linkisch; im nächsten Augenblick würde ich wieder sagen, wie fabelhaft nett er gewesen war.
    «Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?» fragte er.
    «Sie hat sich erst gestern dazu entschlossen. Es ging alles so schrecklich schnell. Ihre Tochter fährt Sonnabend nach New York, und wir begleiten sie. Wir werden sie in Paris treffen und zusammen nach Cherbourg fahren.»
    «Sie will Sie mit nach New York nehmen?»
    «Ja, und ich mag gar nicht. Ich finde es gräßlich. Ich werde mich da nur unglücklich fühlen.»
    «Aber warum in Teufels Namen begleiten Sie sie denn dann?»
    «Ich muß eben, das wissen Sie doch. Ich bekomme doch ein Gehalt von ihr. Ich kann es mir nicht leisten, sie einfach zu verlassen.» Er nahm seinen Rasierapparat wieder auf und rasierte sich fertig.
    «Setzen Sie sich», sagte er. «Es wird nicht lange dauern. Ich ziehe mich rasch im Badezimmer an und bin in fünf Minuten fertig.» Er nahm seine Sachen vom Stuhl, warf sie ins Badezimmer auf den Boden, ging hinein und schlug die Tür zu.
    Ich setzte mich auf den Bettrand und begann an meinen Nägeln zu kauen. Die Situation war so unwirklich, und ich kam mir vor wie eine Marionette. Ich überlegte, was er wohl dachte, was er vorhatte.

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