Rebecca
rissig wie bei einem Schuljungen. Die Haut war bis über die Halbmonde hinaufgewachsen, der Daumennagel fast bis zum Fleisch abgekaut. Ich sah wieder zu Maxim hinüber. Er stand noch immer vor dem Kamin.
«Woran denkst du?» fragte ich. Meine Stimme klang ruhig und gleichmütig, nicht wie mein Herz, das laut und heftig klopfte; nicht bitter und gequält wie meine Gedanken. Er zündete sich wieder eine Zigarette an, sicherlich schon die fünfundzwanzigste an diesem Tag, und dabei hatten wir gerade erst zu Mittag gegessen. Er warf das Streichholz in den Kamin und nahm seine Zeitung wieder auf.
«Nichts Besonderes», antwortete er, «wieso?»
«Ach, ich weiß nicht», sagte ich, «du sahst so ernst und abwesend aus.»
Er pfiff in Gedanken vor sich hin und drehte die Zigarette zwischen den Fingern. «Wenn du es genau wissen willst: ich habe mir nur überlegt, ob Surrey bei den Kricketwettkämpfen gegen Middlesex spielen wird», sagte er.
Er setzte sich wieder in seinen Sessel und faltete die Zeitung auseinander. Ich sah zum Fenster hinaus. Jasper kam zu mir und sprang auf meinen Schoß.
13
Maxim mußte Ende Juli zu einem offiziellen Essen nach London fahren. Ein Herrendiner. Es hatte irgend etwas mit der Gemeindeverwaltung zu tun. Er war zwei Tage fort, und ich blieb mir selbst überlassen. Ich fürchtete mich vor dieser Trennung. Als ich den Wagen hinter der Kurve in der Anfahrt verschwinden sah, war mir zumute, als ob das ein endgültiger Abschied wäre und ich Maxim niemals wiedersehen würde. Er wird bestimmt mit dem Auto
verunglücken, redete ich mir ein, und wenn ich nachmittags von meinem Spaziergang zurückkomme, wird Frith mich bleich und entsetzt mit der Schreckens-nachricht erwarten.
Und dann würde der Arzt aus irgendeinem Dorfkrankenhaus anrufen und mir sagen, daß ich sehr tapfer sein und mich auf das Schlimmste gefaßt machen müsse.
Nach dem Essen setzte ich mich mit einem Buch draußen unter den Kastanienbaum, aber ich las kaum eine Zeile. Und als ich Robert über den Rasen auf mich zukommen sah, wußte ich sofort: das Telephon, und fühlte mich richtig krank. «Ein Anruf vom Klub, Madam», sagte er, «Mr. de Winter läßt bestellen, daß er vor zehn Minuten angekommen ist.»
Ich klappte mein Buch zu. «Danke schön, Robert. Da ist er aber sehr schnell gefahren.»
«Ja, Madam, das war ein schönes Tempo.»
«Hat mein Mann mir noch irgend etwas ausrichten lassen?»
«Nein, Madam, nur, daß er heil angelangt wäre. Der Portier vom Klub hat in seinem Auftrag angerufen.»
«Es ist gut, Robert, vielen Dank.»
Die Erleichterung war ungeheuer; ich fühlte mich auf einmal wieder ganz gesund. Die Qual war vorüber. Als ob ich nach einer Kanalüberquerung endlich die Küste erreicht hätte.
Plötzlich hatte ich Hunger, und als Robert wieder ins Haus gegangen war, stahl ich mich durch die Glastür ins Eßzimmer und nahm mir ein paar Kekse von der Anrichte. Sechs Stück und noch einen Apfel dazu. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich so hungrig war. Ich ging in den Wald und aß dort, damit die Dienstboten mich nicht von den Fenstern aus dabei beobachten konnten.
Jetzt, wo ich Maxim sicher in London wußte, fühlte ich mich wieder wohl und merkwürdig vergnügt. Ich fühlte mich so frei und ungebunden wie ein Kind an einem Samstagnachmittag.
Keine Schule und keine Hausaufgaben. Noch nie hatte ich dieses Gefühl gehabt, seit ich auf Manderley lebte. Vielleicht lag es daran, daß Maxim nach London gefahren war. Dieser Gedanke entsetzte mich. Ich begriff mich selbst nicht. Ich war doch so unglücklich darüber gewesen, daß er fortfuhr. Und jetzt plötzlich diese Fröhlichkeit, diese Beschwingtheit in meinem Gang, dieses kindliche Verlangen, über den Rasen zu laufen und den Abhang hinunter-zurollen. Ich wischte mir die Kekskrümel aus dem Mund-winkel und pfiff Jasper.
Wahrscheinlich fühlte ich mich nur so ausgelasssen, weil es ein besonders schöner Tag war
…
Wir gingen durch das Glückliche Tal zu der kleinen Bucht. Die Azaleen waren schon verblüht, die Blumenblätter lagen braun und verschrumpelt auf dem moosigen Boden. Die Glockenblumen waren noch nicht verwelkt, sie bildeten einen dichten Teppich in dem Wäldchen ober-halb des Tales. Das Moos roch stark und würzig, und die Glockenblumen strömten einen schwachen, bitteren Erd-geruch aus. Ich legte mich in das hohe Gras, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und Jasper an meiner Seite. Irgendwo in den Bäumen über mir gurrten ein paar
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