Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Schulter. Sein Herz wurde schwer. Fast erfüllte ihn Trauer, als er die vielen Seiten sah.
Der Staatsanwalt bat ihn um eine Zusammenfassung der bisherigen Ermittlungen.
Sven-Erik fuhr mit den Fingern durch seinen struppigen Schnurrbart, um sich einige Sekunden Bedenkzeit zu geben, dann erzählte er ohne größere Abschweifungen, dass die Pastorin Mildred Nilsson in der Nacht vor Mittsommer umgebracht worden war. Sie hatte in der Kirche von Jukkasjärvi einen späten Gottesdienst abgehalten, der um Viertel vor zwölf beendet worden war. Elf Personen hatten diesen Gottesdienst besucht. Sechs davon waren Touristen, die im Vildmarkshotel wohnten. Sie waren schon gegen vier Uhr morgen von der Polizei aus den Betten geholt und vernommen worden. Die fünf übrigen Besucherinnen des Gottesdienstes gehörten zu Magdalena, der Tantenbande der Pastorin.
»Tantenbande?«, fragte Anna-Maria.
»Ja, sie hatte eine Bibelgruppe, die nur aus Frauen bestand. Sie nannten sich Magdalena. So ein Netzwerk, wie es heute so üblich ist. Sie haben die Kirche besucht, in der Mildred Nilsson die Gottesdienste abhielt. Sie haben in verschiedener Hinsicht für böses Blut gesorgt. Dieser Ausdruck ist von ihren Gegnern und auch von ihnen selbst verwendet worden.«
Anna-Maria nickte und schaute wieder in die Unterlagen. Sie kniff die Augen zusammen, als sie das Obduktionsprotokoll und die Aussagen von Oberarzt Pohjanen fand.
»Sie wurde ja wirklich zuschanden geschlagen«, sagte sie. »Brüche im Schädelknochen…Risse im Schädelknochen…Verletzungen im Gehirn, unter den Schlagstellen…Blutungen zwischen Gehirnrinde und Gehirnhaut…«
Sie nahm bei den Männern Grimassen des Unbehagens wahr und überflog den weiteren Text schweigend.
Typische Gewalteinwirkung mit einem stumpfen Gegenstand also. Die meisten Verletzungen drei Zentimeter lang, mit Bindegewebsverbindungen zwischen den Rändern. Das Gewebe war zerstoßen worden. Aber hier war eine größere Wunde: »Linke Schläfe bandförmiger rotblauer Bluterguss und Schwellung… drei Zentimeter unter und zwei Zentimeter vor dem Gehörgang auf linker Seite hinter Grenze des Stempelschadens…«
Stempelschaden? Was stand darüber im Protokoll? Sie blätterte weiter.
»Stempelschaden und die lang gestreckte seitenabgrenzende Verletzung über der linken Schläfe deuten auf eine brecheisenartige Waffe hin.«
Sven-Erik setzte seinen Bericht fort.
»Nach dem Gottesdienst hat die Pastorin sich in der Sakristei umgezogen, die Kirche abgeschlossen und ist zum Flussufer unterhalb des Heimatmuseums gegangen, wo ihr Boot lag. Dort wurde sie angegriffen. Der Mörder hat die Pastorin zur Kirche zurückgetragen. Hat das Tor aufgeschlossen, sie zur Empore gebracht und ihr eine Eisenkette um den Hals gelegt, die Kette an der Orgel befestigt und die Pastorin unter der Empore aufgehängt.
Sie wurde nicht viel später von der Küsterin gefunden, die aus einem Impuls heraus mit dem Rad zur Kirche gefahren war, um Blumen für den Altar zu pflücken.«
Anna-Maria warf einen Blick auf ihren Sohn. Er hatte den Karton mit den für den Reißwolf bestimmten Unterlagen gefunden und zerriss ein Blatt nach dem anderen. Eine unbeschreibliche Wonne.
Anna-Maria las eilig weiter. Jede Menge Brüche von Oberkiefer und Jochbein. Eine Pupille zerstört. Linke Pupille sechs Millimeter, rechte vier Millimeter. Das lag an der Schwellung im Gehirn. »Oberlippe stark geschwollen. Rechter Teil blauviolett verfärbt, Einschnitt zeigt kräftige schwarzrote Blutung…« Herrgott! Sämtliche Zähne des Oberkiefers eingeschlagen. »In der Mundhöhle viel Blut und Blutgerinnsel. In der Mundhöhle zwei Strümpfe hart gegen den Schlund gepresst.«
»Hat fast nur auf den Kopf geschlagen«, sagte sie.
»Zwei Verletzungen in der Brust«, sagte Sven-Erik.
»Brecheisenartiger Gegenstand.«
»Vermutlich ein Brecheisen.«
»Langgestreckte Verletzung linke Schläfe. War das der erste Schlag, was meinst du?«
»Ja. Also kann man annehmen, dass er Rechtshänder ist.«
»Woher wissen wir, dass er sie getragen hat? Er kann sie doch auch in eine Schubkarre gelegt haben oder so.«
»Was heißt schon wissen, du kennst doch Pohjanen. Er hat beschrieben, wie das Blut aus ihr herausgeflossen ist. Zuerst nach unten in Richtung Rücken.«
»Dann hat sie auf dem Rücken auf dem Boden gelegen.«
»Ja. Die Techniker haben die Stelle dann auch gefunden. Nur ein kleines Stück vom Ufer entfernt, wo immer ihr Boot lag. Sie ist ab und zu mit dem
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