Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Kommen Sie, sonst gehen wir leer aus.«
Rebecka fuhr Torsten zum Flugplatz. Altweibersommersonne über den gelb gefleckten Bergbirken.
Torsten blickte sie von der Seite her an. Er fragte sich, ob sie wohl jemals etwas mit Måns gehabt hatte. Jetzt war sie jedenfalls sauer. Die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen, der Mund ein Strich.
»Wie lange willst du eigentlich hier oben bleiben?«, fragte er.
»Weiß nicht«, antwortete sie vage. »Übers Wochenende.«
»Und wie soll ich Måns erklären, dass ich seine Mitarbeiterin verschusselt habe?«
»Der wird nicht fragen«, sagte sie.
Sie schwiegen. Am Ende konnte Rebecka sich nicht mehr beherrschen.
»Die Polizei weiß eindeutig nichts über diesen verdammten Safe«, rief sie.
Torstens Stimme klang übertrieben geduldig.
»Den haben sie wohl übersehen«, sagte er. »Aber wir wollen ihnen die Arbeit nicht wegnehmen. Wir haben auch so genug zu tun.«
»Sie ist ermordet worden«, sagte Rebecka leise.
»Unsere Aufgabe ist es, die Probleme der Mandanten zu lösen, so lange wir dabei nicht gegen Gesetze verstoßen. Es ist nicht verboten, die Schlüssel der Kirche zurückzuholen.«
»Nein. Und dann helfen wir ihnen auszurechnen, wie viel sie möglicherweise für sexistische Diskriminierung bezahlen müssen, damit sie ihren Knabenverein ausbauen können.«
Torsten sah aus dem Seitenfenster.
»Und ich muss ihren Mann auf die Straße setzen«, fuhr Rebecka fort.
»Ich habe gesagt, dass du das nicht musst.«
Ach, halt doch die Klappe, dachte Rebecka. Du hast mir keine Wahl gelassen. Sonst hättest du ihm den Gerichtsvollzieher auf den Hals gehetzt.
Sie steigerte ihr Tempo.
Zuerst kommt das Geld, dachte sie. Das ist das Wichtigste.
»Ab und zu könnte ich kotzen«, sagte sie müde.
»Das gehört manchmal zum Job«, sagte Torsten. »Und dann heißt es Schuhe abwischen und weitermachen.«
POLIZEIINSPEKTORIN ANNA-MARIA MELLA fuhr zu Lisa Stöckels Haus. Lisa Stöckel war die Vorsitzende des Frauennetzwerkes Magdalena. Ihr Haus lag einsam auf einer Anhöhe oberhalb der Kapelle von Poikkijärvi. Hinter dem Haus fiel der Hang steil zu einer großen Kiesgrube ab, auf der anderen Seite strömte der Fluss.
Das Haus war Anfang der sechziger Jahre als schlichte braune Jagdhütte erbaut worden. Später war sie erweitert und mit weißen, geschnitzten Fensterrahmen und reichem Schnitzwerk über dem Eingang verziert worden. Sie sah aus wie ein brauner Schuhkarton, der sich als Hexenhäuschen verkleidet hat. Neben dem Haus gab es einen länglichen, falunroten Holzanbau mit Blechdach. Ein einziges Sprossenfenster mit einfachem Glas. Holzschuppen, Vorratshaus und alte Scheune, tippte Anna-Maria. Früher musste hier ein anderes Wohnhaus gestanden haben. Dann wurde es abgerissen und durch die Jagdhütte ersetzt. Die Scheune aber hatten sie stehen lassen.
Sie fuhr langsam auf den Hofplatz. Vor dem Auto sprangen drei Hunde bellend herum. Einige Hühner flatterten auf und suchten hinter einem Johannisbeerstrauch Schutz. Am Zaunpfosten stand eine Katze starr vor Konzentration und sprungbereit vor einem Wühlmausbau. Nur ein irritiertes Peitschen mit dem Schwanz verriet, dass sie den lärmenden Ford Escort registriert hatte.
Anna-Maria hielt vor dem Haus. Durch das Seitenfenster blickte sie in den Rachen der Hunde, die vor der Autotür herumsprangen. Ihre Schwänze wirbelten hin und her, aber trotzdem. Einer war riesengroß. Und außerdem war er schwarz. Sie stellte den Motor ab.
Eine Frau kam aus dem Haus und trat auf die Vortreppe. Sie trug einen unbeschreiblich scheußlichen barbierosa Steppmantel. Sie rief die Hunde.
»Hierher!«
Sofort ließen die Hunde das Auto in Ruhe und stürmten die Treppe hoch. Die Frau befahl den Hunden, Sitz zu machen, und kam auf das Auto zu. Anna-Maria stieg aus und stellte sich vor.
Lisa Stöckel war um die fünfzig. Sie war ungeschminkt. Ihr Gesicht war nach dem Sommer sonnenbraun. Um ihre Augen, die sie in der hellen Sonne so oft zusammengekniffen hatte, hatten sich feine weiße Striche gebildet. Ihre Haare waren sehr kurz, einen Millimeter kürzer und sie hätten wie eine Wurzelbürste gewirkt.
Fesch, dachte Anna-Maria. Wie ein Cowgirl. Sofern man sich ein Cowgirl in diesem rosa Mantel vorstellen kann.
Der Mantel war wirklich grauenhaft. Er war von Tierhaaren bedeckt, und aus vielen kleinen Löchern und Rissen schaute das weiße Futter hervor.
Und Girl hin oder her. Natürlich kannte Anna-Maria Frauen um die fünfzig, die sich zu
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