Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Mädchenfesten trafen und noch als Mädel ins Grab sinken würden, aber Lisa Stöckel war kein Girl. Etwas in ihren Augen gab Anna-Maria das Gefühl, dass sie auch nie eines gewesen war, nicht einmal als kleines Mädchen.
Und dann gab es eine fast unmerkliche Linie, die vom Augenwinkel unter dem Auge entlang und dann über den Wangenknochen verlief. Ein dunkler Schatten unter dem Auge.
Schmerz, dachte Anna-Maria. Im Körper oder in der Seele.
Sie gingen zusammen zum Haus hoch. Die Hunde lagen auf der Treppe und fiepten eifrig; sie wollten aufstehen und den Gast begrüßen.
»Halt!«, befahl Lisa Stöckel.
Damit waren die Hunde gemeint, aber Anna-Maria gehorchte ebenfalls.
»Haben Sie Angst vor Hunden?«
»Nein, nicht wenn ich weiß, dass sie nichts tun«, sagte Anna-Maria und schaute das große schwarze Tier an.
Die lange schmale Zunge, die wie ein Schlips aus seinem Maul hing. Pfoten wie ein Löwe.
»Na gut, in der Küche liegt auch noch eine, aber sie ist lammfromm. Das sind die hier auch, sie sind einfach eine Bande von Straßenbengels ohne Manieren. Gehen Sie schon mal rein.«
Sie öffnete Anna-Maria die Tür, und die trat in die Diele.
»Ihr verdammten Mafiosi«, sagte Lisa Stöckel liebevoll zu den Hunden. Dann hob sie den Arm und rief: »Los!«
Die Hunde sprangen auf, ihre Krallen zogen lange Kratzer in das Holz, als sie losrannten, sie nahmen die Treppe mit einem einzigen glücklichen Sprung und jagten über den Hofplatz davon.
Anna-Maria stand in der engen Diele und sah sich um. Den halben Platz nahmen zwei Hundebetten ein. Außerdem standen dort ein großer Trinknapf aus Edelstahl, Gummistiefel, normale Stiefel, Turnschuhe und Goretexschuhe. Es gab kaum genug Platz für sie und Lisa Stöckel gleichzeitig. Die Wände waren von Haken und Regalen bedeckt. Es hingen dort mehrere Hundeleinen, Arbeitshandschuhe, Mützen und Fäustlinge, Blaumänner und anderes. Anna-Maria überlegte, wohin sie ihre Jacke hängen sollte, alle Haken waren belegt, die Kleiderbügel ebenfalls.
»Legen Sie die Jacke über den Küchenstuhl«, sagte Lisa Stöckel. »Sonst ist sie nachher voller Haare. Nein, um Himmels willen, behalten Sie die Schuhe an.«
Von der Diele aus führte eine Tür ins Wohnzimmer und eine in die Küche. Im Wohnzimmer standen mehrere mit Büchern gefüllte Bananenkartons. Bücherstapel bedeckten den Boden. Das Bücherregal aus dunklem Holz mit einem Glasfach stand verstaubt und leer vor der einen Längswand.
»Wollen Sie umziehen?«, fragte Anna-Maria.
»Nein, ich wollte nur…Man sammelt so viel Müll an. Und Bücher, die fangen doch auch nur Staub.«
Die Küche war mit schweren Möbeln aus bereits abgewetzter, lackierter Kiefer eingerichtet. Auf einer rustikalen Bank schlief ein schwarzer Labrador. Die Hündin erwachte, als die beiden Frauen die Küche betraten, und schlug zur Begrüßung mit dem Schwanz auf ihre Kissen. Dann ließ sie den Kopf wieder sinken und schlief weiter.
Lisa stellte den Hund als Majken vor.
»Sie können mir sicher erzählen, wie sie war«, sagte Anna-Maria, nachdem sie Platz genommen hatten. »Ich weiß ja, dass Sie im Frauennetzwerk Magdalena zusammengearbeitet haben.«
»Ich habe doch dem Kollegen schon alles gesagt…einem ziemlich großen Burschen mit so einem Schnurrbart.«
Lisa Stöckel hielt sich die Hand zwanzig Zentimeter vor die Oberlippe. Anna-Maria lächelte.
»Sven-Erik Stålnacke.«
»Ja.«
»Können Sie es noch einmal erzählen?«
»Wo soll ich anfangen?«
»Wie haben Sie einander kennen gelernt?«
Anna-Maria musterte Lisa Stöckels Gesicht. Wenn Menschen sich auf der Suche nach einem gewissen Ereignis in ihr Gedächtnis zurückzogen, ließ ihre Aufmerksamkeit oft nach. Es sei denn, es handelte sich um ein Ereignis, über das sie Lügen vorbringen wollten. Ab und zu vergaßen sie dann ihr Gegenüber für einen Moment. Über Lisa Stöckels Gesicht huschte ein sekundenschnelles Lächeln. Für einen Moment wurde es weicher. Sie hatte die Pastorin sehr gern gehabt.
»Vor sechs Jahren. Sie war gerade in das Pfarrhaus gezogen. Und im Herbst sollte sie für die Jugendlichen hier und in Jukkasjärvi mit dem Konfirmandenunterricht beginnen. Und sie ist an die Sache rangegangen wie ein Jagdhund. Hat alle Eltern der Kinder, die sich nicht angemeldet hatten, aufgespürt. Hat sich vorgestellt und erzählt, warum sie den Konfirmandenunterricht so wichtig fand.«
»Und warum fand sie ihn so wichtig?«, fragte Anna-Maria, die fand, dass der ihre ihr vor
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