Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
ist?«
Jetzt liegt er träge da und scheint kein Interesse an Gelbbeins Halbschwester zu haben. Er ist sieben Jahre alt, und keiner im Rudel scheint sich sonderlich für seine Nachfolge zu interessieren. In wenigen Jahren wird er älter und schwächer sein und seine Position verteidigen müssen. Aber jetzt kann er hier liegen und sich von der Sonne das Fell wärmen lassen, während er sich die Pfoten leckt oder ein wenig Schnee frisst. Gelbbeins Halbschwester bemüht sich um ihn. Geht in die Hocke und uriniert in seiner Nähe, um sein Interesse zu wecken. Drückt sich an ihm vorbei. Interessiert und blutig um die Schwanzwurzel. Am Ende gibt er nach und deckt sie. Das ganze Rudel atmet auf. Sofort lockert sich die Spannung in der Gruppe.
Die beiden Einjährigen wecken Gelbbein und wollen spielen. Sie hat unter einer Tanne gedöst. Aber jetzt machen die Jungwölfe sich über sie her. Der eine bohrt seine riesigen Vorderpfoten in den Schnee. Sein ganzer Körper ist spielerisch gekrümmt. Der andere kommt angerannt und setzt über sie hinweg. Sie springt auf und jagt hinterher. Sie bellen und kläffen, dass es zwischen den Bäumen nur so widerhallt. Ein erschrockenes Eichhörnchen eilt als roter Strich einen Baumstamm hoch. Gelbbein kann den einen Einjährigen einholen, und der schlägt im Schnee einen doppelten Salto. Dann ringen sie eine Weile, und danach wird Gelbbein gejagt. Sie springt wie ein Iltis zwischen den Bäumen hin und her. Wird ab und zu langsam, damit die anderen sie einholen können, dann jagt sie wieder davon. Sie wird erst gefangen, wenn sie es will.
Donnerstag, 7. September
UM HALB SIEBEN UHR morgens machte Mimmi Frühstückspause. Sie war schon seit fünf im Lokal an der Arbeit. Jetzt mischte sich der Duft von frisch gebackenem Brot und Kaffee mit dem von Lasagne und Eintopf. Fünfzig Behälter aus Aluminium standen auf der rostfreien Anrichte zum Abkühlen. Mimmi hatte die Schwingtüren geöffnet, damit es nicht so warm würde. Und weil es den Kerlen gefiel. Es war wie ein Fest. Zuzusehen, wie sie hin- und herlief und arbeitete, die Kaffeekanne füllte. Und sie konnten in Ruhe essen, es gab keine kritischen Blicke, wenn jemand mit offenem Mund kaute oder sich das Hemd mit Kaffee bekleckerte.
Ehe sie sich selbst zum Frühstücken hinsetzte, lief sie ins Lokal und verwöhnte die Frühstücksgäste, indem sie mit der Kaffeekanne herumging. Sie nötigte sie und reichte ihnen den Brotkorb. In diesem Moment gehörte sie ihnen allen, sie war ihre Frau, ihre Tochter, ihre Mutter. Ihre gesträhnten Haare waren noch immer feucht von der Morgendusche, sie hatte sie unter dem um den Kopf geknoteten Taschentuch geflochten. Ihr reichten die Blicke, die sie ohnehin bekam. Niemals würde sie mit offenen nassen Haaren herumlaufen, die auf ihr enges Oberteil von H & M tropften. Miss Wet-and-wetter-T-shirt. Sie stellte die Kanne auf die Wärmeplatte.
»Greift einfach zu, ich muss mich jetzt mal einen Moment hinsetzen.«
»Mimmi, komm mit der Kanne her«, verlangten die Männer verärgert als Antwort.
Einige mussten gleich zur Arbeit. Sie tranken den heißen Kaffee in schnellen, kleinen Schlucken und schlangen ein Brot mit zwei Bissen hinunter. Die anderen schlugen hier eine Stunde oder mehr tot, ehe sie zurück in die Einsamkeit wanderten. Sie versuchten, Gespräche zu beginnen, und blätterten planlos in der Zeitung von gestern, die heutige traf noch lange nicht ein. Im Ort sagte man nicht, man sei arbeitslos, krankgeschrieben oder in Frührente. Man sagte, man sei zu Hause.
Der Übernachtungsgast Rebecka Martinsson saß einsam an einem Tisch auf der Flussseite und schaute aus dem Fenster. Aß ihr Müsli und trank ohne Eile ihren Kaffee.
Mimmi bewohnte im Ort eine Einzimmerwohnung. Sie hatte sie behalten, obwohl sie im Grunde bei Micke im Haus neben dem Lokal wohnte. Als sie beschlossen hatte, eine Weile hier zu bleiben, hatte ihre Mutter ohne Nachdruck vorgeschlagen, sie könne doch bei ihr wohnen. Sie hatte sich aber so offensichtlich dazu gezwungen gefühlt, dass Mimmi nie auf die Idee gekommen wäre, dieses Angebot anzunehmen. Sie führte seit etwas mehr als drei Jahren zusammen mit Micke das Lokal, und erst im vergangenen Monat hatte Lisa ihr einen Hausschlüssel überreicht.
»Man weiß ja nie«, hatte sie gesagt und ihren Blick schweifen lassen. »Wenn etwas passiert oder so…die Hunde sind ja im Haus.«
»Sicher«, hatte Mimmi geantwortet und den Schlüssel genommen. »Die Hunde.«
Immer diese
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