Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
wollte, aber es tat ihm gut zu reden. Und selbst zu entscheiden. Sie sah, wie einige Sekunden lang die Wörter in seinem Mund geformt wurden, ehe sie herauskamen. Sein Kiefer bewegte sich hin und her. Dann verlangte er energisch: »Pfannkuchen.«
Mimmi verschwand in der Küche. Sie nahm fünfzehn kleine Pfannkuchen aus dem Kühlschrank und knallte sie in die Mikrowelle.
Teddys Vater Lars-Gunnar und ihre Mutter Lisa waren Vetter und Kusine. Teddys Vater war ein pensionierter Polizist und seit fast dreißig Jahren Leiter des Jagdvereins. Das machte ihn zu einem mächtigen Mann. Er war auch rein körperlich eine imposante Erscheinung, genau wie Teddy. Früher war er ein Respekt einflößender Polizist gewesen. Und dazu umgänglich, nach dem, was die Leute sagten. Es kam noch immer vor, dass er die Beerdigung besuchte, wenn irgendein kleiner Gauner gestorben war. Dann waren Lars-Gunnar und der Pastor oder die Pastorin oft die einzigen Anwesenden.
Als Lars-Gunnar Teddys Mutter kennen gelernt hatte, war er schon über fünfzig gewesen. Mimmi erinnerte sich daran, wie er ihnen damals Eva vorgestellt hatte.
Ich kann nicht älter als sechs gewesen sein, dachte sie.
Lars-Gunnar und Eva saßen im Wohnzimmer auf dem Ledersofa. Lisa rannte immer wieder in die Küche, um Plätzchen und Milch und Kaffee und Gott weiß was noch zu holen. Das war zu der Zeit, als sie sich angepasst hatte. Später hatte sie sich scheiden lassen und mit Backen und Kochen ganz einfach aufgehört. Mimmi kann sich vorstellen, wie Lisa in ihrer Jagdhütte ihre Mahlzeiten zu sich nimmt. Im Stehen, den Hintern an den Küchentisch gelehnt, löffelt sie etwas aus einer Konservendose, vielleicht eine kalte Suppe.
Aber damals. Lars-Gunnar auf dem Sofa, den Arm um Evas Schultern gelegt, eine ungewöhnlich zärtliche Geste für einen Mann in dieser Stadt, vor allem für diesen. Stolz war er. Sie war vielleicht nicht hübsch, aber viel jünger als er, so, wie Mimmi jetzt, irgendwas zwischen zwanzig und dreißig. Wo diese Urlaub machende Sozialarbeiterin Lars-Gunnar kennen gelernt haben mochte, konnte Mimmi sich nicht vorstellen. Aber Eva kündigte ihre Stelle in…Norrköping, wenn Mimmi das richtig in Erinnerung hatte, und zog in sein Elternhaus, wo er noch immer wohnte. Nach einem Jahr wurde Teddy geboren. Der damals allerdings noch Björn hieß. Ein passender Namen für dieses kolossale Baby.
Es kann nicht leicht gewesen sein, überlegt Mimmi. Aus einer großen Stadt hierher ins Dorf zu ziehen. Während des Mutterschaftsurlaubs den Kinderwagen auf der Dorfstraße hin und her zu schieben, mit den Nachbarinnen als einzigen Gesprächspartnerinnen. Dass sie nicht durchgedreht ist. Aber das war sie dann ja.
Die Mikrowelle klingelte, und Mimmi schnitt zwei Scheiben Eis ab und gab einen Klacks Marmelade auf die Pfannkuchen. Sie füllte ein großes Glas mit Milch und schmierte drei große Schnitten Graubrot. Nahm drei hart gekochte Eier aus dem Topf auf dem Gasherd, stellte alles zusammen mit einem Apfel auf ein Tablett und brachte es Teddy.
»Und mehr Pfannkuchen gibt es erst, wenn du die anderen aufgegessen hast«, sagte sie streng.
Mit drei Jahren war Teddy an Hirnhautentzündung erkrankt. Eva hatte im Krankenhaus angerufen. Die hatten geraten, noch ein wenig zu warten. Und dann hatte das Schicksal seinen Lauf genommen.
Als er fünf war, zog Eva aus. Sie verließ Teddy und Lars-Gunnar und ging zurück nach Norrköping.
Oder brannte durch, dachte Mimmi.
Im Dorf wurde darüber geredet, wie sie ihr Kind im Stich gelassen hatte. Manche können eben keine Verantwortung übernehmen, hieß es. Und immer wieder stellte man sich die Fragen: Wie konnte sie nur? Wie war das möglich? Das eigene Kind zu verlassen?
Mimmi weiß es nicht. Aber sie kennt das Gefühl, im Dorf zu ersticken. Und sie kann sich vorstellen, wie Eva in dem rosa Eternithaus zerbrach.
Lars-Gunnar blieb dort mit Teddy wohnen. Er sprach nicht gern über Eva.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte er nur. »Ich kann sie doch nicht anbinden.«
Als Teddy sieben war, kam sie zurück. Genauer gesagt, Lars-Gunnar holte sie aus Norrköping. Die nächsten Nachbarn konnten berichten, wie er sie auf seinen Armen ins Haus getragen hatte. Der Krebs hatte sie schon fast zerfressen. Drei Monate später war sie tot.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte Lars-Gunnar abermals. »Sie war doch die Mutter meines Sohnes.«
Eva wurde auf dem Friedhof von Poikkijärvi begraben. Ihre Mutter und eine
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