Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
schnell in seinem Mund.
»Hallo«, ruft Micke von der Tür her. »War das denn nicht für Anni bestimmt?«
Teddy dreht sich mit theatralisch bedauernder Miene zu ihm um.
»Weg«, sagt er resigniert.
Die Pastorin Mildred redet weiter.
»Ich weiß natürlich, dass es anstrengend für Lars-Gunnar war. Aber wenn Teddy nicht entwicklungsgestört wäre, hätte er seinem Vater dann wirklich so viel mehr Freude gemacht? Ich weiß nicht.«
Mimmi sieht sie an. Die Pastorin hat Recht.
Sie denkt an Lars-Gunnar und seine Brüder. Sie kann sich an deren Vater nicht erinnern, an Teddys Großvater. Aber sie hat über ihn gehört. Isak war ein harter Mann. Hat die Kinder mit dem Gürtel gezüchtigt. Und ab und zu auch noch schlimmer. Er hatte fünf Söhne und zwei Töchter.
»O verdammt«, hat Lars-Gunnar irgendwann einmal gesagt. »Ich hatte solche Angst vor meinem eigenen Vater, dass ich mir manchmal in die Hose gepisst habe. Noch, als ich schon längst zur Schule ging.«
Mimmi kann sich sehr gut an diese Bemerkung erinnern. Damals war sie noch klein. Konnte sich nicht vorstellen, dass der riesengroße Lars-Gunnar sich jemals gefürchtet haben sollte. Oder klein gewesen war. Und sich bepisst hatte!
Was mussten sie sich Mühe gegeben haben, um nicht zu werden wie ihr Vater, diese Brüder. Aber der Vater steckt ihnen immer noch im Blut. Sie verachten die Schwäche. Sie haben eine Härte, die sich vom Vater auf den Sohn vererbt. Mimmi denkt an Teddys Vettern, einige wohnen in der Stadt, gehören dem Jagdverein an, sitzen im Lokal.
Aber Teddy ist gegen das alles immun. Gegen Lars-Gunnars ab und zu auflodernde Bitterkeit über Teddys Mutter, gegen seinen eigenen Vaters, gegen die Welt im Allgemeinen. Gegen die Verärgerung über Teddys Unzulänglichkeiten. Gegen Selbstmitleid und Hass, die nur an die Oberfläche kommen, wenn die Männer trinken, die aber immer in ihnen schwelen. Teddy kann den Kopf hängen lassen, aber nur einige Sekunden lang. Er ist ein glückliches Kind im Körper eines erwachsenen Mannes. Verbitterung und Dummheit können ihm nichts anhaben.
Wenn er nun nicht hirngeschädigt wäre. Sondern normal. Sie weiß schon, wie die Landschaft zwischen Vater und Sohn dann aussehen würde. Karg und dürftig. Beherrscht von dieser Verachtung für die eigene eingekapselte Schwäche.
Mildred. Sie weiß nicht, wie Recht sie hat.
Aber Mimmi lässt sich auf solche Argumentationen nicht ein. Sie zuckt zur Antwort mit den Schultern, sagt, nett, dich kennen gelernt zu haben, aber jetzt muss ich wieder an die Arbeit.
Jetzt hörte Mimmi Lars-Gunnars Stimme im Lokal.
»Ach zum Henker, Teddy!«
Nicht böse. Eher müde und resigniert.
»Ich hab dir doch gesagt, gefrühstückt wird zu Hause.«
Mimmi ging hinaus. Teddy saß hinter seinem Teller und ließ beschämt den Kopf hängen. Leckte sich den Milchbart von der Oberlippe. Die Pfannkuchen waren aufgegessen, Eier und Milch ebenfalls, nur der Apfel war noch unberührt.
»Vierzig Kronen«, sagte Mimmi eine Spur zu munter zu Lars-Gunnar.
Das geschieht ihm recht, dem Geizkragen, dachte sie.
Er hatte die Tiefkühltruhe voll mit Gratisfleisch vom Jagdverein. Die Nachbarinnen halfen ihm und putzten und wuschen unentgeltlich für ihn, sie brachten ihm selbst gebackenes Brot und luden ihn und Teddy zum Essen ein.
Als Mimmi im Lokal angefangen hatte, hatte Teddy dort immer gratis gefrühstückt.
»Ihr dürft ihm nichts geben, wenn er kommt«, erklärte Lars-Gunnar. »Davon wird er doch nur dick.«
Trotzdem servierte Micke Teddy Frühstück, aber da Lars-Gunnar das eigentlich nicht erlaubt hatte, brachte er es nicht über sich, Geld dafür zu verlangen.
Mimmi brachte es über sich.
»Teddy hat gefrühstückt«, sagte sie bei ihrer ersten Morgenschicht zu Lars-Gunnar. »Macht vierzig Mäuse.«
Lars-Gunnar schaute sie überrascht an. Hielt im Lokal nach Micke Ausschau, aber der lag zu Hause und schlief.
»Ihr dürft ihm nichts geben, wenn er hier bettelt«, sagte er.
»Wenn er nichts essen darf, musst du ihn von hier fern halten«, sagte Mimmi. »Wenn er herkommt, bekommt er zu essen. Und wenn er isst, musst du bezahlen.«
Von da an hatte Lars-Gunnar bezahlt. Auch wenn Micke morgens Dienst hatte.
Jetzt lächelte er Mimmi sogar an und bat um Kaffee und Pfannkuchen für sich selbst. Er stand neben dem Tisch, an dem Teddy und Rebecka saßen. Konnte sich nicht entscheiden, wo er sich hinsetzen sollte. Am Ende ließ er sich am Nachbartisch nieder.
»Setz dich zu mir«, sagte
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